27. März 2023

Die ARTE Reportage

Guten Abend, ihr Lieben!
 
Ich denke, so langsam dürfte der größte "Ansturm" nach dem TV-Beitrag von ARTE am vergangenen Mittwoch vorüber sein. Falls ihr diesen aber tatsächlich verpasst haben solltet, - wie konnte das nur passieren!? - dann könnt ihr ihn entweder in der ARTE-Mediathek (bis 19.03.2024) oder auch auf Youtube nachsehen.

Jedenfalls möchte ich direkt zu Beginn sagen, dass diesmal im Gegensatz zu den bisherigen beiden TV-Beiträgen Einiges anders ist. Nicht nur der Beitrag an sich ist anders, wie ich euch in meinem Blogpost über die Drehtage beschrieben habe. Auch sehr viel drumherum. Diesmal seid ihr viel stärker eingebunden und mehr Teil des Ganzen - ich habe das Gefühl, dass ich mich die ganze Zeit mit euch zusammen vorgefreut habe und dass wir einen ganz intensiven und offenen Austausch über das Ergebnis geteilt haben. Das dürfte größtenteils an meinem Instagramaccount liegen und dafür bin ich sehr dankbar. Es ist viel schöner, so ein besonderes Erlebnis mit der Community teilen zu können! Klar, meine Lieben stehen mir auch immer bei, aber euer Mitfreuen, euer Support und euer Feedback sind nochmal Gold wert. Von Herzen ein dickes DANKE dafür! :)

Aus dem Beitrag von ARTE Re:
 
Nun aber zu meiner Reaktion auf den ARTE Re: Beitrag "Alles unter Kontrolle? Leben mit einer Zwangserkrankung"! Ich möchte das ein bisschen strukturiert angehen und teile es deswegen in Abschnitte auf. Dadurch könnt ihr mir hoffentlich gut folgen. Aber Achtung, der Post wird lang, stellt euch darauf ein. Dieses Mal gehe ich sehr viel ausführlicher auf das Endergebnis ein, mir ist so danach.

Starten wir damit, dass ich die 30min durchgehend emotional ergriffen war und in meinen Abschnitten auch ununterbrochen geheult habe. :D Wirklich, in der Sekunde, als mein Gesicht auf dem Bildschirm erschien, brachen die Tränen aus. Ich kann es nicht vollständig erklären, wieso das so ist und ich denke, da kommen verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen ist das Thema einfach berührend. Punkt. Es ist kein Tutti-Frutti-Jahrmarktsbesuch, psychisch erkrankt zu sein. Obwohl wir Betroffene uns dank tagtäglicher Auseinandersetzung extrem dran gewöhnt haben und ja nie aus unserer Haut und der Krankheit zumindest mal für ne Sekunde entfliehen können, ist es dennoch (oder gerade deshalb?) etwas Anderes, das so von außen zu betrachten. Plötzlich wird es anders wirklich, anders real und anders greifbar. Zumindest geht es mir so und das habe ich auch ganz generell, ohne da jetzt genauer drauf einzugehen. Im Prinzip ist es wie eine Art Legitimation, wenn ich mich da so sehe und erzählen höre. Dadurch wird es erst so richtig ernst und ich merke plötzlich, wie sehr ich eigentlich gelitten habe und leide. Tja. Zurück zu meinen Vermutungen, wieso ich bei sowas derart nah am Wasser gebaut bin: Ich weiß halt am allerbesten, was für eine riesige Menge Arbeit von allen Beteiligten hinter dem fertigen Ergebnis steckt. Viele Stunden Dreharbeit, mehrmalige Wiederholungen von Szenen, der Struggle um die passende Wortwahl und und und. Nicht zu vergessen die sorgfältige Vor- und Nachbereitung der Verantwortlichen. Es ist irgendwie nahezu magisch, in einen derartigen Prozess von Anfang bis Ende eingebunden zu sein. Was zusätzlich on top kommt, ist, dass mir beim Zusehen nochmal ganz stark bewusst wird, wie dankbar ich für diese Chance bin. Und nicht bloß für die! Mein Skin Picking mag mich oft und viel leiden lassen, aber ich nehme aus der Betroffenheit auch viel Positives mit und schätze wert, was sie mir ermöglicht. Dazu gehören solche ganz besonderen Ereignisse oder zum Beispiel ebenso der Kontakt und Austausch mit euch! So viel zu ein paar Gründen meiner Emotionalität.
 
Aus dem Beitrag von ARTE Re:
 
Neben mir sind ja noch zwei weitere Powerfrauen Protagonistinnen in der Reportage gewesen: Dominique und Margit. Dominique hat vor allem Kontrollzwänge. Im Beitrag erschien sie mir super sympathisch und ich bin im Übrigen total froh, sie auf Instagram entdeckt und damit den Kontakt hergestellt zu haben (durch einen Hinweis einer Followerin)! Bei ihrem Teil fand ich es besonders gelungen, wie die Entwicklung der Erkrankung mit möglichen Ursachen in den Blick genommen und nachvollziehbar dargestellt wurde. Das Thema Stress (durch Lernen und Prüfungen) konnte ich sehr gut nachfühlen, darüber habe ich auch ein paar Sätze verloren - man konnte hier also sehen, dass Stress jeglicher Art für uns beide einen Einfluss hat. Dominique hat sehr eindrücklich und echt beschrieben, wie sich der Drang bzw. der Zwang anfühlt und dass er sich sogar durch ein Spannungsgefühl in der Brust bemerkbar macht. Mir geht es ähnlich, dass ich den Drang zum Skin Picking manchmal körperlich spüre, daher konnte ich ihre Beschreibungen sehr nachempfinden. Dominique hat meiner Meinung nach großen Respekt dafür verdient, dass sie sich mit dem Autofahren einer so herausfordernden Situation gestellt und dabei filmen lassen hat! Fand es auch richtig toll, dass hierbei zusätzlich eine fachliche Einordnung sowie Begleitung durch einen Psychotherapeuten vorgenommen wurde. Was mich an ihrer Geschichte sehr berührt hat, war der Moment, als sie von Verbesserungen und Veränderungen erzählt und sie an konkreten Beispielen festgemacht hat. Da kann sie richtig stolz auf sich sein!

Margit gibt uns Einblicke in ihr Leben mit einem Reinigungs-/Waschzwang und ihrem damit verbundenen Ekelgefühl. Ich fand es so unfassbar mutig von ihr, sich dieser womöglich irre schwierigen Situation zu stellen und mit dem Kamerateam zusammen in die Stadt zu fahren. Die damit einhergehenden Herausforderungen wurden sehr nah begleitet und ich ziehe auch an dieser Stelle meinen imaginären Hut, dass Margit sogar den gescheiterten Versuch, auf eine öffentliche Toilette zu gehen, begleiten ließ. Das muss ziemlich intim gewesen sein. Ähnlich wie bei Dominique wurde auch bei Margit ein Schwenk in die Vergangenheit unternommen, sodass der Verlauf der Erkrankung über die Jahre/Jahrzehnte schön nachgezeichnet wurde. Und wow, wie bemerkenswert ehrlich es war, als auch sie die körperlichen Symptome durch den Zwang beschrieb! Sie erzählte von den Malen, wo sie versuchte, den Zwang auszuhalten und was das körperlich und psychisch für Folgen hatte. Das hat richtig deutlich gezeigt, wie Psyche und Körper in einer Verbindung miteinander stehen. In Teilen konnte ich dem auch nachfühlen, denn bei Skin Picking haben wir ja ebenso dieses Nebeneinander von negativen und positiven Gefühlen vor, während und nach dem Verhalten. Auch Margit hat sich professionelle Unterstützung geholt und erfährt langsame Besserung. Ich bin mir sicher, dass es nach all den Jahrzehnten nicht einfach, aber dennoch möglich ist.

Aus dem Beitrag von ARTE Re:
 
Vorhin habe ich euch schon lang und breit erklärt, warum ich beim Schauen der Reportage so viel geheult habe und jetzt komme ich erneut auf mich zurück. :D Sorry! Aber dazu kann ich eben am meisten sagen, das leuchtet euch hoffentlich ein.
Es beginnt ja mit dem Satz "Auch Jacqueline wird von einem Zwang beherrscht" und mir ist schon klar, dass es erzählerisch und vor dem Hintergrund des Oberthemas Sinn macht, das so zu formulieren. Womöglich mag es kleinlich sein, wenn ich da so drauf herumreite, aber es ist nunmal nicht ganz korrekt, denn nach dem ICD11 ist Skin Picking eine Zwangsspektrumsstörung. Ich greife an der Stelle schonmal voraus, dass es später eine weitere Szene gibt, die in eine ähnliche Richtung geht. Hier wird davon gesprochen, dass Skin Picking eine "noch recht neue Diagnose aus dem Umfeld der Zwangsstörungen" sei. Ich finde es gut, dass sie andeuten, wie jung die Diagnose ist und dass es keine Zwangsstörung per se ist, aber mir ist das nicht deutlich genug. Da hätte ich mir mehr gewünscht und ich glaube, das hätte man auch richtig schön verarbeiten können, inwiefern es da Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Dermatillomanie und klassischen Zwangserkrankungen gibt. Naja, war vielleicht nicht wichtig genug. Dafür fand ich es einerseits gut dargestellt, wie man durch das Verhalten in einen Trancezustand gerät und dass andererseits deutlich erkennbar wird, dass so ein Verhalten nicht von heute auf morgen da ist, sondern dass es sich über die Zeit entwickelt und chronifiziert. Es steckt also auch viel Lerneffekt dahinter, denn das Gehirn "merkt" sich platt gesagt, was es bringt, dem Verhalten nachzugehen. Es hat höchst nützliche Funktionen, aber eben auch einen hohen Preis. Mir gefällt, wie der Beitrag das beleuchtet. Ebenso wurde sehr treffend beschrieben, dass es nicht funktioniert, sich das Verhalten abzugewöhnen, weil es eben keine schlechte Angewohnheit, sondern eine ernstzunehmende psychische Krankheit ist. Toll! Das zu wissen, hilft vielen Betroffenen zu Beginn ihrer Auseinandersetzung bereits sehr. Wissen ist Macht! Je mehr Wissen über Skin Picking wir uns aneignen, desto besser können wir uns selbst einschätzen und auch akzeptieren lernen. Zusätzlich wurden einige weitere Aspekte meiner Dermatillomanie erwähnt: Das Mobbing aus der Schulzeit, der Stress als Einflussfaktor, der Perfektionismus, der Selbsthass und die (nur scheinbare) Kontrolle über Gefühle... Das ist angesichts der kurzen Zeit schon eine ganze Menge. Aber nicht bloß ich durfte was zu meiner Erkrankung sagen, auch meine Schwester und ihre Sicht auf die Dinge wurden gezeigt, was ich sehr schön fand. Jedoch wurde genauso mein Vater in einem eigenen Interview befragt, davon kam zu meiner Überraschung letztendlich gar nichts in den fertigen Beitrag. Super schade, er hat meiner Meinung nach durchaus einige mehr als brauchbare Aussagen getätigt. Für mein Empfinden hätte man das gut für einen Abschluss nutzen können, denn irgendwie finde ich, dass mein Teil komisch geendet ist!? Ich habe bis zum Schluss erwartet, dass noch ein Ausschnitt zu mir kommt, der vielleicht (anhand der Szenen mit meinem Vater) eine Art Zukunftsperspektive eröffnet und die Geschichte abrundet. Dazu gleich im abschließenden Absatz mehr, ich möchte vorher noch eine Sache zu meinem Teil in der Reportage loswerden: Undzwar fand ich es wunderbar, wie auch die Scham und das Versteckspiel thematisiert wurden, sodass deutlich wurde, wie ich die Perspektive auf meine Hautstellen verändert habe. Das macht Mut und davon können wir Betroffene immer was gebrauchen!

Aus dem Beitrag von ARTE Re:
 
Puh, wir sind bald am Ende, versprochen. Ich möchte alles nochmal zusammenfassen, indem ich das Gesamtergebnis in den Blick nehme. Fangen wir einfach mal mit dem einzigen für mich negativen Punkt an: Für mein Gefühl ist die Reportage leider viel zu schnell und ziemlich abrupt geendet. Wie gesagt, ich hätte mir für meinen Teil noch einen geeigneteren Abschluss erwartet und Ähnliches gilt auch für Margit. Bei Dominique wurde ein schöner und runder Abschluss geschaffen, aber für Margit und mich nicht in gleicher Weise, wie ich das sehe. Das fand ich etwas schade, weil ganz sicher genug Material dafür vorhanden gewesen wäre - nur eben keine Sendezeit mehr. :D Man hätte also an anderer Stelle streichen müssen und ich respektiere, dass sich die Verantwortlichen im Schnitt dagegen entschieden haben. Die herausragende Stärke der ARTE Reportage hingegen liegt für mich ganz eindeutig in der super offenen, ehrlichen und realitätsnahen Darstellung des Lebens/Erlebens der Protagonistinnen. Es werden ganz konkrete Situationen und Handlungen filmisch begleitet, ohne, dass dabei die Gedanken und Gefühle der Betroffenen vernachlässigt werden. Alles wird komplett wertfrei eingefangen, sodass dem Zuschauer ein sehr realistischer Einblick gegeben wird. Einfach nur großartig! Das finde ich gerade bei solchen Themen auch extrem wichtig! Nur so kann der Impact psychischer Erkrankungen auf den Alltag, die Psyche und Identität verdeutlicht werden. Das ist ARTE definitiv gelungen.

Alles in allem also ein empfehlenswerter TV-Beitrag über Zwangserkrankungen (und Skin Picking)! Ich wiederhole mich vermutlich, aber ich möchte nicht ohne ein Dankeschön aus diesem Blogpost gehen... Aus tiefstem Herzen DANKE an ARTE und alle Verantwortlichen, die es möglich gemacht haben, Aufmerksamkeit für ein so unbekanntes Krankheitsbild wie Skin Picking zu erschaffen. Insgesamt wurde äußerst gute Arbeit geleistet und ich bin mehr als dankbar, dass ich Teil davon sein durfte. Ihr wisst, was für ein großes Anliegen es mir ist, mich für unsere Sichtbarkeit einzusetzen. Das werde ich nach wie vor mit vollem Einsatz tun. Diese Reportage war ein guter Meilenstein auf diesem Weg.

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