Wie ihr vielleicht wisst, habe ich früher in Teenagerjahren immer meine Haut bearbeitet, wenn ich online Bilder geteilt habe (was in einem Forum war, ich war nie auf Facebook oder privat auf Instagram & Co.). Ich war im Gegensatz zu heute noch nicht so weit, meine Haut ganz offen zu zeigen und mich damit verletzlich zu machen. Jeder Pickel, jede Wunde, jede Narbe wurde mit einem Bilbearbeitungsprogramm wegradiert. Kein Foto wurde gezeigt, ohne, dass ich vorher sämtliche Textur aus meinem Gesicht entfernt habe. Trotz eher dürftigen Mitteln wurde ich sehr schnell Profi darin, meine Haut so zu bearbeiten, wie ich sie mir auch in echt gewünscht habe. Natürlich konnte mein Spiegelbild nie mit den bearbeiteten Fotos mithalten und diese Bearbeitung fühlte sich insgeheim an wie eine Maske, die ich mir aufsetze. Gleiches galt für die viele Schminke, mit der ich schon vorher versuchte, die Spuren des Skin Pickings zu minimieren. Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut, die Königin des Versteckspiels zu sein.
Das ist nun viele Jahre her... Inzwischen gibt es ganz andere Mittel und Wege, sein Aussehen auf Bildern komplett (!) zu verändern. Es wird immer einfacher, zugänglicher und unsichtbarer. Fast schon erschreckend, was Bildbearbeitungsapps auf dem Handy oder Filter bei Instagram und TikTok heute alles können! Es ist nichts Neues mehr, wenn ich euch erzähle, dass viele Menschen nur ihre beste Seite auf den sozialen Medien zeigen. Leider ist das nicht selten eine Version von ihnen, denen sie nicht mal selbst gerecht werden können. Denn niemand sieht aus wie die unzähligen Filter, die am Ende aus den ganzen einzigartigen Gesichtern das gleiche, langweilige Einheitsface machen. Ich mag mir nicht ausmalen, was das für eine Wirkung auf die heutige Jugend haben muss, diese unerreichbare Perfektion ständig überall zu sehen, sobald man sich in den sozialen Medien bewegt. Zum Glück gibt es auch eine starke Gegenbewegung, die genau diesen Problemkomplex sichtbar machen und ein Bewusstsein dafür schaffen möchte! Klar, man muss dafür erst einmal in diese Bubble reinkommen, aber wenn man erst drin ist, will man gar nicht mehr raus - so meine Meinung! Ich bin froh, selbst nicht unter solchen Umständen aufgewachsen zu sein. Vom Alter bin ich je nach Einteilung zwar genau auf der Grenze zwischen Gen Y und Gen Z, aber wegen verschiedener Gründe fühle ich mich der Gen Y (den Millennials) vieeeel zugehöriger. Erst mit 12 oder 13 hatte ich bspw. mein erstes Handy - ein Schiebehandy ohne Internet oder Touch. Keine Ahnung, wie alt ich war, als ich zum ersten mal Whatsapp hatte, aber es war sehr spät. Instagram, Facebook, Snapchat und das alles hatte ich nie. Hat mich nie gereizt, im Gegenteil. Deshalb blieb ich von dem verschont, was für die Jugend von heute beinahe unumgänglich scheint.
Und auch, wenn diese Thematik wie gesagt nichts Neues ist, finde ich es gut, dass es die besagte Gegenbewegung gibt, die sich für die natürliche, unperfekte Schönheit des unbearbeiteten Aussehens ausspricht. Es gibt eine ganze Reihe von Accounts, die das ganz wunderbar anhand von Fotos, Reels etc. zeigen - bei Interesse könnt ihr auf meinem Instagram das entsprechende Story-Highlight durchsuchen (es gibt aber noch sehr viel mehr Accounts, die ich nicht kenne).
Trotzdem wollte ich auch mal so eine Art von Gegenüberstellung ausprobieren. Was ich hier schon ab und zu mal gezeigt habe, sind meine Pickel-und-Wunden-Wegzauberkünste. Sprich ich habe ein normales Foto von mir hergenommen und dort meine Hautunreinheiten, Narben usw. entfernt. Das letzte Mal war letzten Sommer mit diesem Post und unter diesem Link findet ihr ein anderes Beispiel aus 2018. Finde es einfach ganz spannend, mir das anzusehen, wie ich aussehen könnte, würde ich kein Skin Picking haben. Das seht ihr auch in der obigen Vierercollage auf dem zweiten Bild. Bild 1 ist das Original, Bild 2 ist das Original ohne Pickel, Wunden, Narben, Pigmentflecken und den ganzen Spaß. Bei Bild 3 seht ihr auf den ersten Blick eventuell gar keinen großen Unterschied und das war auch Absicht. Ich habe meine Gesichtszüge hier und da ganz unscheinbar perfektioniert: Schmaleres Gesicht und schmalere Kinnlinie, größere Augen, kleinere und schmalere Nase, größere und vollere Lippen, niedrigere Stirn, etwas dickere Augenbrauen. Hinterher noch die Augen aufgehellt und die Lippen nachgedunkelt. Easy und dafür wirkt es noch relativ natürlich. Als würde ich wirklich so aussehen. Aber wenn ihr auf Bild 4 schaut, seht ihr, dass ich dort wieder meine eigenen Gesichtszüge habe. Hier habe ich stattdessen ein Make-Up per Bildbearbeitung auf mein Gesicht gelegt. Kann ich mir in Zukunft die Zeit morgens sparen, oder?
Und so wird aus dem originalen Foto eine völlig fremde Version von mir. Eine Jacqueline, die es gar nicht gibt! So sehe ich nicht aus. Und das ist völlig okay so! Ich darf spärliche und dünne Augenbrauen, blasse Lippen, starke Augenringe, Schlupflider, straßenkötergraue Haare, einen uneinheitlichen Hautton, eine hohe Stirn, eine krumme Nase und insbesondere all meine Spuren der Dermatillomanie haben.* Ich bin und bleibe dennoch ich. Ich will jeden Tag versuchen, mit freundlichen Augen auf mich zu schauen und nie wieder in den Hass zu verfallen, den ich aus Teenagerzeiten kenne. Es bringt nichts, mich selbst aufgrund von Äußerlichkeiten runterzumachen, an denen ich sowieso nichts ändern kann. Ich bin ein wertvoller Mensch und mein Wert wird nicht durch mein Äußeres bestimmt! Die Menschen, die zählen, schauen sowieso hinter das Äußere und die, die das nicht können, dürfen mir fern bleiben. Ich bin mehr als meine Haut oder mein Skin Picking.
*Wundert euch nicht, dass ihr vielleicht nicht alles davon gut auf dem Foto erkennen könnt - meine Augenbrauen sind leicht nachgezeichnet, meine Haare gefärbt, meine Hakennase sieht man nur von der Seite... Die Wahrheit ist: Es gibt nur ein Original und das sitzt gerade in seinem Zuhause auf dem Stuhl am Schreibtisch. Auch die Linse einer Handy-, Digital- oder Spiegelreflexkamera verändert mein Aussehen und das teilweise drastisch, glaubt mir.
Im Nachgang möchte ich euch noch die restlichen Aufnahmen der Bildreihe zeigen, denn eigentlich hatte ich gedacht, dass ich nur ganz normal meine Haut zeigen will. Aber der letzte Post der "Eindrücke meiner Haut"-Reihe ist erst einen halben Monat her, von daher...
Auf dem letzten Bild erkennt man ganz gut, dass ich nicht nur die recht frischen Wunden und neueren Narben auf der Haut trage, sondern dass auch alte Narben mein Hautbild prägen. So viele Stadien von Hautheilung nebeneinander, wie spannend! Die ganz alten Narben erscheinen eher weißlich, sie können vermutlich nicht mehr so gut Melanin bilden!? Bin kein Profi, sorry. :D Aber diese weißlichen Narben sind auch das, was mir auf den Oberarmen und Schultern geblieben ist. Dort hat mein Skin Picking ja angefangen. Heute habe ich kaum noch was an diesen Körperpartien, aber die kleinen, hellen Narben verschwinden nie. Sie stören mich allerdings nicht und sind von Weitem auch gar nicht erkennbar, dafür muss man schon nah rangehen. Generell hat sich mein Blick auf meine sichtbaren Spuren des Skin Pickings sehr verändert. Hätte ich früher als Teenager mit Hass, Verachtung, Trauer und riesiger Scham auf diese Fotos geblickt, so empfinde ich heute eine ziemliche Neutralität. Ja, das bin halt ich. Na und? Ich habe mal anders ausgesehen, aber meine Haut wird nie wieder so unversehrt sein wie vor dem Beginn meiner BFRB-Erkrankung. Das ist aber völlig in Ordnung! Ich will auch gar nicht, dass die Narben komplett verschwinden. Eines Tages wird meine Haut weiter verheilt sein und es werden keine neuen Narben mehr hinzukommen, aber das Alte darf bleiben. Es erinnert mich stets daran, dass ich all das geschafft habe und schon immer größer war als das Skin Picking.
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