Guten Abend!
Vor ein paar Wochen wurde bei uns in einem Selbsthilfegruppentreffen ein ganz bestimmtes Thema angeregt, mit dem wir uns in einem der nächsten Treffen dann auch die vollen 120min beschäftigt haben. Ein spannendes und ziemlich wichtiges Thema! Es treibt bestimmt viele, viele Betroffene immer wieder um - das habe ich auch im letzten Treffen gemerkt, als es wieder aufkam. Deshalb dachte ich mir: Warum verarbeite ich das Ganze nicht mal in einem Blogbeitrag? Auch, wenn es den wunderbaren Austausch, den wir dazu innerhalb der SHG hatten, nicht ansatzweise ersetzen kann (schade, dass ich nicht ein wenig mitgeschrieben habe...), so ist es doch eine kleine Ansammlung von Impulsen zu dem Thema. Denn ich habe mich für die Moderation des besagten Themenabends auch vorbereitet und mich dazu zum Beispiel mit meinem Freund als Angehöriger und der lieben Janika als weitere Betroffene ausgetauscht. Das heißt, ihr werdet in diesem Post hauptsächlich meinen vorbereiteten Input erhalten, der jedoch gerne um eure eigenen Gedanken ergänzt werden darf! Denn vollständig sind diese Überlegungen ganz sicher nicht, das habe ich im Austausch mit den anderen Betroffenen in der Gruppe sehr eindeutig festgestellt.
Doch worum geht es nun? Tja, stellt ihr euch vielleicht manchmal eine oder mehrere der folgenden Fragen?:
Wie schafft man es, sich trotz der vielen Rückschläge immer wieder dazu zu motivieren, mit dem Skin Picking aufzuhören?
Warum sollte man überhaupt an sich und dem Skin Picking arbeiten, wenn es doch sowieso immer Tiefphasen und Rückfälle gibt?
Wofür lohnt es sich, sich aufzuraffen und eines Tages frei davon zu sein?
Was kann uns (immer wieder neu) Motivation schenken?
Dann seid ihr hier genau richtig! Darum soll es gehen. Ich glaube, es gibt auf diese Fragen sehr viele hilfreiche und wertvolle Antworten, die bestimmt auch individuell bzw. subjektiv sind. Das ist auch logisch, denn es braucht meiner Meinung nach einen ganz persönlichen Motivator, damit er Kraft hat und funktionieren kann. Was bringt es mir, wenn ich es mit Motivator xy von wem anders probiere, der für mich aber gar nicht passt!? Deswegen möchte ich darauf hinweisen, dass die Arbeit nicht damit getan ist, diesen Post zu lesen. Wenn ihr noch auf der Suche nach Antworten auf die obigen Fragen seid, dann setzt euch ruhig immer wieder damit auseinander und findet euren ganz eigenen Weg. Stellt euch euren eigenen Rucksack mit Gründen zusammen, weswegen ihr auf die Reise geht! Nehmt diesen Rucksack mit und vergesst nicht, welche Kraft er schenken kann.
Zum Einstieg möchte ich zwei, drei Tipps teilen. Der erste Tipp ist ganz schnell abgehandelt: Ich habe euch neulich das neue Buch "Frieden mit meiner Haut" von Ingrid und Christina vorgestellt - in den Geschichten der Betroffenen dürften sich ganz bestimmt viele Anregungen und Inspirationen finden! Ein Grund mehr, sich dieses wunderbare Buch nicht entgehen zu lassen! Übrigens habe ich ein Rezensionsexemplar erhalten und werde euch noch einen Rezensionspost zum Buch verfassen. Jetzt aber erst einmal zu einem anderen Buch, das ich vor einiger Zeit gelesen und auf meinem Blog vorgestellt habe: "Skin Picking. The freedom to finally stop" von Annette Pasternak (inzwischen hat Annette ein zweites Buch veröffentlicht). Auch dieses Buch fand ich in diesem Kontext hilfreich. Falls ihr bisschen mehr darüber erfahren mögt, könnte die kleine Postserie, die ich dazu verfasst habe, eventuell etwas für euch sein (dann hier klicken)? Innerhalb dieser Postserie habe ich verschiedene Kapitel, Aspekte und Übungen aus dem Buch genauer behandelt - zum Beispiel habe ich euch in dem einen Teil auch motivierende Sprüche abfotografiert, die ich aus dem Buch gesammelt habe. Aber es gibt in dem Buch auch eine ganz wunderbare Übung, die ihr machen könnt und die euch zu Antworten verhelfen kann. Innerhalb dieser Übung legt man eine Tabelle mit zwei Spalten und zwei Zeilen an, sodass man vier Felder zum Ausfüllen hat. Diese vier Felder tragen folgende Titel: Pro's of picking, con's of picking, pro's of NOT picking und con's of NOT picking. Ihr überlegt euch also, was für euch persönlich die Vor- und Nachteile am Skin Picking, aber auch die Vor- und Nachteile davon sind, kein Skin Picking mehr zu betreiben. Am Ende erhaltet ihr zwei Felder bzw. streng genommen ein Feld, was euch Motivation schenken sollte: Die Vorteile davon, kein Skin Picking mehr zu betreiben (+ die Nachteile vom Skin Picking). Wenn man sich intensiv Gedanken macht bei dieser Übung, wird man schnell merken, dass viele Bereiche des Lebens berührt werden, die über die sichtbaren Konsequenzen auf der Haut hinausgehen. Körperliches Wohlbefinden, Schlaf, Fokus und Konzentration, Selbstwertgefühl, Sozialverhalten und noch vieles mehr.
So viel zu den Tipps. Nachfolgend liste ich euch ein paar der Ideen von mir, meinem Freund und Janika auf, die wir zu den oben genannten Fragen hatten.
- Alternativlosigkeit: Das mag im ersten Moment stumpf wirken, aber ganz ehrlich? Es ist doch wahr! Was wäre denn die Alternative und käme sie überhaupt infrage? Nichts tun (quasi "aufgeben") und womöglich trotzdem unter den Konsequenzen leiden, vielleicht sein Leben lang? Drauf warten, dass es sich von allein auflöst? Der Erkrankung und dem Verhalten die vollkommene Macht über sich selbst, sein Leben und das eigene Wohlbefinden geben? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich klingt das nicht nach einer erstrebenswerten Alternative - das Leben ist zu kurz dafür. Und vor allem: Das Leben geht weiter. Wenn ihr der Überzeugung seid, dass Heilung/Recovery sowieso nicht möglich ist (für euch), dann sage ich euch eins: Doch das ist es! Es gibt ehemalige Betroffene, die zeigen konnten, dass es ein "danach" gibt. Dass es sich lohnt und eine Freiheit auf uns wartet, die wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausmalen können. Außerdem darf nicht vergessen werden: Nur in EUCH liegt die Kraft, das Skin Picking zu bezwingen. Niemand sonst kann das für euch erledigen, obgleich ihr selbstverständlich Hilfe auf eurem Weg in Anspruch nehmen dürft. Aber ihr findet die Kraft dazu nicht im außen, das möchte ich sagen.
- Lebensqualität boostern: Die auf uns wartende Freiheit leitet wunderbar zum nächsten Punkt über. Denn vielleicht stellt ihr euch auch die Frage, ob ihr überhaupt genug leidet, um solche Anstrengungen auf euch zu nehmen? Ob die Auseinandersetzung mit euch selbst und dem Skin Picking eventuell ein zu hoher Preis dafür ist, dass es ja "schon irgendwie geht"? Das kann einem auf diesem langen und beschwerlichen Weg schonmal so vorkommen, daher ist es verständlich, wenn ihr Fragen dieser Art kennt. Aber wenn wir ehrlich zu uns sind, wissen wir, dass es die Anstrengung wert ist. Denn sobald man das Gefühl hat, dass die Erkrankung die eigene Lebensqualität in irgendeiner Art einschränkt, dann ist es bereits lohnenswert! Diese Lebensqualität ist nicht in den Brunnen gefallen; wir können sie uns zurückholen! Wir alle sind es wert, dass wir uns freier fühlen: Weniger bis keine Zeitverschwendung mehr, weniger oder gar kein Versteckspiel mehr, weniger Scham, weniger Schuldgefühle, mehr Lebensgenuss etc. All das können und dürfen wir erreichen bzw. uns zurückholen. Denn wir sind doch so viel mehr als nur Haut und Haare. Hinter unserer äußerlichen Hülle steckt eine ganz wunderbare Seele mit ganz vielen tollen Eigenschaften. Und das Leben besteht genauso aus mehr als aus Sorgen und Ängsten. Dabei zählen selbst die ganz kleinen Dinge, über die wir uns freuen und die wir wertschätzen können, wenn wir unseren Blick entsprechend lenken. Ihr seid nicht nur Betroffene von Skin Picking, ihr seid auch coole/r Schwester/Bruder, bester Partner der Welt, Kind von euren Eltern, Mutter/Vater eurer Kinder, beste/r Freundin/Freund usw.
- Neue Formen von Emotionsbewältigung und Resilienz kennenlernen: Auch, wenn wir uns das zum aktuellen Zeitpunkt möglicherweise nur schwer vorstellen können, so wartet auf uns ein Leben, in welchem wir andere Wege finden, mit Stress umzugehen und Emotionen zu verarbeiten. Diese neuen Formen von Emotionsbewältigung, Stressmanagement, Resilienz & Co. dürfen wir erforschen, in unser Leben integrieren und erproben. Wir dürfen dadurch spüren, dass wir doch dazu in der Lage sind, uns gesünderen Wegen zu bedienen als nur dem Skin Picking. Kleine Schritte und Erfolge führen zum Ziel und das kann sich extrem ermächtigend und befreiend anfühlen, wenn wir diese Erfahrungen machen und immer wieder über uns hinauswachsen. Wenn wir immer wieder in die Konfrontation gehen, lernen wir viel über uns selbst und bringen das eigene Persönlichkeitswachstum voran. Dieser Lernprozess allein kann es wert sein, nicht aufzugeben. Wir können es schaffen! Und wenn wir das einmal, zweimal, dreimal schaffen, dann schaffen wir es auch wieder. Vielleicht ist das auch ein kleiner Motivator? Alle bisherigen Tiefen habt ihr überlebt, ihr schafft auch weitere Durststrecken.
- Community: Ihr seid nicht allein! Das kann man nicht oft genug betonen. Ich weiß selbst zu gut, wie tief diese Überzeugung in uns verankert ist, wo wir doch jahre- oder gar jahrzehntelang alleine mit den Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken und Herausforderungen waren. Niemand war da, der uns wahrhaftig verstanden hat und uns dadurch zeigen konnte, dass wir kein Alien sind. Deswegen ist die Kraft der Community für mich persönlich definitiv nicht zu unterschätzen! Wir können unsere Erfolge, unsere Wege der Auseinandersetzung, unsere Erkenntnisse und unsere Heilungsgeschichten teilen und uns dadurch gegenseitig Mut und Hoffnung schenken. Die Community ist stark, voller Liebe und Zusammenhalt.
- Wir wollen die Erkrankung nicht: Das darf auch ganz klar gesagt werden an dieser Stelle! Ja, man kann sich überlegen, was uns die Erkrankung alles gelehrt hat, was sie für Funktionen erfüllt, welche positiven Seiten und Chancen sie bietet (in diesem Post mehr dazu), aber dennoch gibt es zahlreiche negative Aspekte an ihr und das allein kann Grund genug sein. Wir sind oft genervt, wütend, traurig, enttäuscht, verzweifelt, angewidert und noch so viel mehr. Wir hassen den Teufelskreis. Und der Wunsch, frei von diesen Gefühlen und Erfahrungen zu sein, der ist absolut valide und erfüllbar. Die Lektionen, die uns das Skin Picking gelehrt hat, die können wir ja auch in das Leben mitnehmen, in welchem Skin Picking nicht mehr (wirklich) existiert.
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Ich hoffe, dieser Beitrag hat euch gefallen und darüber hinaus vielleicht sogar geholfen. Es ist bestimmt deutlich geworden, dass das ganze Thema mehr eine Reise als eine Station ist. Ich wünsche euch das Allerbeste auf eurer eigenen Reise!
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