Über ein Jahr ist es her (siehe
letzter Beitrag aus der Postserie) und endlich kann ich euch sagen: Ich habe unerwarteterweise wieder einen Beitrag von der lieben Janika im Gepäck! Eigentlich hatte ich euch ja mitgeteilt, dass Janika
ihren eigenen Blog gestartet und die "Derma-Self-Love-Club"-Reihe auf diesem Blog deshalb ihr Ende gefunden hat. Manchmal läuft es im Leben aber anders als geplant, man reflektiert Geschehenes und eigene Entscheidungen etc. - so kam es, dass wir uns nun in der glücklichen Position schätzen dürfen, hier wieder von Janika zu lesen! Es wird euch nicht neu sein, wenn ich sage, dass ich ihre Beiträge extrem wertvoll und bereichernd finde. Das gilt nicht nur für den Blog und den Effekt auf euch, sondern auch für mich ganz persönlich. Deshalb bin ich so froh, dass die Dermatillomanie uns beide als zwei Betroffene zusammengeführt hat und der Startschuss für eine wunderbare Freundschaft gewesen ist!
Janika hat mal wieder ein unfassbar spannendes Thema in ausführlichster Weise für euch verarbeitet, weshalb ich euch nicht mehr lange aufhalten möchte. Ganz viel Spaß und zahlreiche Erkenntnisse oder Gedankenanregungen! :) Achso und entschuldigt im Vorhinein die Qualität der als Bilder eingefügten Tabellen, das ging leider formattechnisch nicht anders. :/ Einmal draufklicken und größer anzeigen lassen, dann lässt es sich besser lesen.
"Hallo meine Lieben!
Ich hoffe, es geht euch allen soweit gut!
Nach einer langen Schreibpause melde ich mich heute mal wieder mit einem neuen Beitrag zurück. In der letzten Zeit habe ich mich mal wieder des Öfteren in einen kritischen Selbstreflexionsprozess begeben, um noch mehr über mich und meine Erkrankungen herausfinden zu können und daraufhin bin ich dann über die Idee gestolpert, zwei zentrale Kräfte unseres Menschseins und ihre Wirkmechanismen im Kontext der Skin-Picking-Störung einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Dafür habe ich den Versuch gewagt, diese strukturiert gegenüberzustellen, um im Anschluss eine kleine, aber nicht unwichtige Erkenntnis zu generieren. Diese kann - so hoffe ich es - einen (!) plausiblen Erklärungsansatz darstellen, worin die hohe Komplexität des Skin Pickings genau begründet liegt.
Das hört sich jetzt wahrscheinlich noch wahnsinnig theoretisch an, entschuldigt mich. Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, möchte ich euch nun gerne zeigen, was ich genau meine, indem ich mit der Beschreibung der heutigen zwei Akteure beginne.
Emotio und Ratio sind die Wörter der Stunde. Ich möchte mich gar nicht allzu lange damit befassen, sie im kleinsten Detail genau auseinanderzunehmen; eine kurze Beschreibung sollte reichen.
Unter Ratio versteht man das verstandesmäßige Handeln. Menschen, die in Situationen unter rationalen Gesichtspunkten auftreten und handeln, können Situationen ganzheitlich analysieren und lassen sich in ihrer Entscheidungsfindung nicht von kurzweiligen emotionalen Gefühlslagen steuern. Insbesondere seit der Epoche der Aufklärung wird dem Verstand eine herausragende Rolle zugesprochen und dem Menschen Mut gemacht, ihren Entscheidungen sowie Handlungen eine rationale Basis zu geben.
Dass der Mensch aber nicht immer ausschließlich sachlich und besonnen handelt, zeigt schon ein naheliegendes Beispiel aus dem Alltag. Machen wir hierfür ein kleines Gedankenexperiment: Stell dir vor, du möchtest dir eine Armbanduhr kaufen. Aus rein logischer Perspektive sollte die Armbanduhr primär die Funktion erfüllen, die Uhrzeit korrekt anzeigen zu können. Das sollte fürs Erste reichen. So eine Armbanduhr bekommt man schon schnell für ein paar Euro.
In der Wirklichkeit aber stellen sich nun auch unsere Emotionen ein. Wir scrollen stundenlang durch verschiedene Websites, gehen in Verkaufsläden, vergleichen Modelle, stellen neue Ansprüche und wollen konkret eins: Dass das Produkt, für das wir uns am Ende entscheiden, nicht nur seinen Zweck erfüllt, sondern auch das richtige Gefühl in uns auslöst. Rationale Gesichtspunkte werden auf einmal weniger interessant, denn das Gefühl spricht auf einmal eine viel wichtigere Sprache.
Emotio meint somit den gefühlsbetonten Anteil in uns. Wenn wir der Emotio entsprechend handeln, lassen wir uns von unserem Bauchgefühl oder auch der Intuition leiten. Wir entscheiden uns für Dinge, die wir manchmal selbst gar nicht logisch begründen können, die uns aber richtig erscheinen. Wir lesen zwischen den Zeilen, nehmen kleine Veränderungen in uns und anderen wahr und streben das gute und richtige Gefühl an.
Dabei möchte ich an dieser Stelle aber noch einmal betonen, dass Emotio und Ratio keinesfalls als Kontrahenten zu verstehen sind. Wir vereinen beide Teile in uns und handeln mal auf die eine, mal auf die andere Weise. Jemand, der rational handelt, ist nicht grundsätzlich emotionslos und jemand, der seinem Bauch folgt, ist auch kein irrationales Gemüt. Das macht unser Menschsein so besonders: Wir sind in unserem Wesen weder vollständig schwarz noch weiß, sondern einer von vielen denkbaren Grautönen.
Nun möchte ich die am Anfang angekündigte Brücke schlagen und Emotio und Ratio mit dem Skin Picking in Verbindung bringen. Skin Picking fällt ganz eindeutig in ein von Emotio gesteuertes Schema. Selbstverständlich hat die genauere Ätiologie des Skin Pickings auch durchaus rationale Wurzeln. Gründe, warum sich die Krankheit in unser Leben geschlichen hat, Ursachen, wieso sie sich so starr und hartnäckig aufrechterhalten kann (und und und) sind gewiss nicht nur Fragen der Emotion und unserer Möglichkeit, sie zu kontrollieren. Das Störungsbild folgt seinen ganz eigenen Logiken und es ist essentiell sowie unverzichtbar, dies anzuerkennen, denn sonst würden wir schnell in die Falle geraten, das Skin Picking als reine Verhaltensschwäche und Willenssache abzustempeln.
Mir geht es vielmehr darum, im Folgenden einmal aufzuzeigen, dass das Skin Picking den Kanal der Emotio benutzt, um seine Kraft aufrechtzuerhalten und demgegenüber auch deutlich zu stellen, dass wir Skin Picker uns dessen auch bewusst sein können, dass das Skin Picking auf keinem Pfad der Logik daherschreitet.
Ich habe im Rahmen meiner Skin-Picking-Laufbahn schon mit einigen Betroffenen Gespräche über das Skin Picking führen dürfen und wenn ich eine Sache sicher sagen kann, dann, dass alle Betroffenen ausnahmslos sehr selbstreflektierte, aufrichtige, gebildete, aber eben auch vor allen Dingen gefühlsbetonte Menschen sind. Ohne mich jetzt in die Rolle einer Expertin begeben zu wollen, konnte ich aus der Perspektive einer Selbstbetroffenen die Erkenntnis generieren, dass wir eine sehr starke Emotio zu haben scheinen und ich glaube, dass genau dieser Umstand es dann dem Skin Picking auch so unverschämt leicht macht, sich aufrechtzuerhalten und weiterhin zu fruchten! Es weiß, dass wir über unsere Emotionen sehr leicht zu erreichen sind. Es weiß, dass wir Dinge wie Bindung, Treue und Stabilität brauchen und hoch schätzen. Es weiß aber auch, dass wir viele Selbstzweifel in uns tragen und uns beizeiten gerne an etwas klammern, was uns Sicherheit gibt.
Im gleichen Atemzug kommen wir aber spätestens auch nach einiger Zeit der Auseinandersetzung mit unserem Krankheitsbild zu der Erkenntnis, dass die skin-picking-bezogenen Gedanken nicht echt sind, egal, wie logisch und aufrichtig sie uns erscheinen mögen.
Der erste Schritt ist vielleicht mit der schwierigste: Wir müssen uns von der Vorstellung lösen können, dass alles, was unser Gehirn uns alltäglich an Gedanken produziert, echt ist. Natürlich ist es eine wertvolle Fähigkeit, dass wir grundlegend unseren Gedanken Vertrauen schenken können. Sie sichern nicht nur unser Überleben, sondern helfen uns auch bei wichtigen Einschätzungen und
Entscheidungen. Somit liegt uns im ersten Schritt die Vorstellung fern, dass nicht nur alles produktiv, geschweige denn wahr ist, was wir alltäglich denken. Ganz im Gegenteil, denn die Erkrankung mischt sich unter genau diese wertvollen Gedanken, sodass es irgendwann immer schwieriger wird, eine klare Trennlinie zwischen den Gedanken zu ziehen. So schmerzhaft es auch ist: Ich versuche mir immer wieder vor Augen zu führen, dass ich meiner Wahrnehmung nicht immer trauen und folgen darf.
Mein Denken unterliegt einer Menge gefährlicher Verzerrungen, die mir nicht nur auf kurze Sicht schaden, sondern auch langfristig einen Container an Einschränkungen und Gefährdungen mit sich bringen. Deswegen sollte es um die Auseinandersetzung mit diesen schwierigen Gedanken gehen und man sollte beginnen, diese zu identifizieren und immer wieder auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen.
Ich bin gerne ein Mensch, der den Gefühlen Vorrang vor der Logik gibt, aber dies geht nicht auf Kosten meiner eigenen (psychischen) Gesundheit!
Um meinen Beitrag hiermit abzurunden, möchte ich ein paar wesentliche Gedankengänge nennen, die mein Skin Picking mir regelmäßig vorspielt und möchte dem dann die logische Vernunft gegenüberstellen, um noch einmal abschließend darauf hinzuweisen, dass das Skin Picking nichts mit der Realität zu tun hat! Wir sind gut so wie wir sind und die Gefühlszustände, die die Krankheit in uns auslöst, sind war gewiss auf der Gefühlsebene echt, aber keineswegs langfristig gehaltvoll! Ich persönlich kenne das Gefühl, wenn ich dem Skin Picking nicht gegensteuern kann, obwohl ich doch weiß, dass es keine rationale Grundlage für die spezifische Anspannung gibt. Aber dies zeigt nur einmal mehr, was für eine hohe Kraft die Dermatillomanie doch besitzt!
Vielleicht erweckt diese ungeschönte Tabelle auch in dir einmal das Interesse, das gleiche Schema auf dein Skin Picking anzuwenden, denn ich finde, eine der wertvollsten Möglichkeiten, etwas über uns zu lernen, ist die produktive Auseinandersetzung mit unseren Gedanken – und dafür darf man, auch, wenn es unglaublich schwierig ist und in dem Moment unserer Natur zu widerstreben scheint, einmal die emotionale Ebene verlassen und mehr auf die Vernunft hören, sie wünscht uns nur das Beste!
Bei der Fertigstellung dieses Beitrags kam mir dann noch der Gedanke, dass ich keinesfalls den Eindruck eines einseitig negativen Bildes des Skin Pickings erwecken möchte. Ich könnte wahrscheinlich Ewigkeiten darüber erzählen, welche unglaublich wertvollen Qualitäten das Skin Picking besitzt. Angefangen bei den regulatorischen Möglichkeiten, hinüber zu den identitätsstiftenden Eigenschaften bis hin zu dem Umstand, dass es einen Grund hat, warum es in unser Leben getreten ist und somit auch stückweise ein wichtiger haltgebender Begleiter auf der Reise unseres Lebens ist. Trotzdem muss es selbstverständlich in unserem Interesse sein, an diesem Anteil in uns zu arbeiten und Wege zu finden, die Qualitäten des Skin Pickings durch produktivere Verhaltensweisen zu ersetzen!
Danke für eure Zeit und euer Interesse! Vielleicht konnte ich euch ein paar neue Einsichten mit auf den Weg geben und neue Wege der Auseinandersetzung in euch anstoßen!
Fühlt euch umarmt, eure Janika <3"