1. Oktober 2018

Gastpost - Part 8

Hallöchen, liebe Leidensgenossen!

Ja, ihr lest richtig! Wir befinden uns in einem neuen Teil der Gastpostserie (alle bisher veröffentlichten Geschichten sind hier zu finden)! Das ist zwar schon mehr als genug Grund zur Freude, aber ich habe noch bessere Nachrichten: Um die Zukunft dieser Postserie muss ich mir erstmal keine Sorge mehr machen, denn nachdem dieser Teil raus ist, habe ich immer noch zwei, die auf ihre Veröffentlichung warten. Ist das nicht prima? Ich habe selbst kaum fassen können, wie viele mutige Betroffene sich in letzter Zeit ein Herz gefasst und mir eine Mail mit ihrer Geschichte geschrieben haben! Das ist wirklich eine tolle Leistung, ich schätze eure Tapferkeit sehr!

Ihr seid neu hier und wisst gar nicht, wovon ich spreche? Dann lasst euch gesagt sein: Dieses kleine Projekt solltet ihr nicht verpassen! Es gibt innerhalb dieses Formats Auszüge von den Erfahrungen anderer Menschen mit Skin Picking, die sich aber selbst nicht allein an die Öffentlichkeit trauen und mir deshalb eine Mail geschrieben haben. Daher wird Anonymität groß geschrieben, sofern es gewünscht wird. Für mehr Details empfehle ich euch, einen Blick in den ersten Teil zu werfen, in welchem ich euch eine ausführliche Erklärung liefere.

Heute gibt es also erneut Einblick in die ganz persönliche und eigene Welt eines anderen Skinpickers. Bevor es jedoch damit losgeht, gibt es wie jedes Mal meinen Aufruf aus dem ersten Teil an euch:
Nun möchte ich euch als Betroffene ganz direkt ansprechen: Ihr habt niemanden zum Reden, möchtet aber trotzdem mal euer Herz ausschütten oder Frust rauslassen? Ihr traut euch nicht, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen, möchtet aber dennoch, dass eure Geschichte von Menschen gelesen wird? Ihr habt ein paar tolle Tricks und Tipps oder einfach nur liebe Worte für Leidensgenossen, die ihr loswerden wollt? Ein eigener Blog wäre euch zu viel Arbeit, aber einen kleinen Post würdet ihr gerne verfassen? Dann meldet euch gerne bei mir! Schreibt mir eine E-Mail mit dem Betreff "Gastpost" an folgende Adresse: dermatillomanie-blog@web.de. Selbstverständlich dürft ihr auch Bilder mitsenden, wenn ihr das wollt. Ihr könnt dabei entweder von Anfang an namenslos bleiben oder mich darum bitten, euch zu anonymisieren. Ich werde euren Text dann unverändert innerhalb dieser Postserie veröffentlichen, sodass ihr selbst eventuelle Kommentare Anderer dazu lesen könnt.

"Bereits als Kind knibbelte ich an Mückenstichen und Schürfwunden. Bei Schürfwunden hatte ich das Gefühl, sie würden dadurch sogar schneller verschwinden. Wenn man die Kruste zum letzten Mal abknibbelte, erschien dadrunter zwar eine weiße Narbe, aber die Wunde war weg und die Haut glatt. Als ich etwa 13 Jahre alt war, bekam ich Akne. Da ging der Spaß dann richtig los. Ich drückte an Pickeln und Mitessern. Wunden kratzte ich wieder auf und drückte weiter, wenn ich wusste oder dachte, dass dadrunter noch etwas war - Talg, der raus musste. Ich drückte besonders am Gesicht, an Schultern und Dekolleté. Ich beneidete alle Schulkameradinnen, die im Sommer Spaghettitops trugen. Ich kratzte mich auch am Kopf und zog die Kruste an den Haaren entlang heraus. Manchmal blieb die Kruste in den Haaren verschwunden, aber wenn ich sie rausbeförderte, war das ein großes Glücksgefühl. Am Kopf knibbelte ich irgendwann nicht mehr, aber seit etwa zwei Jahren habe ich wieder damit angefangen. Zu der Zeit machte ich ein studienbegleitendes Praktikum in meinem Wunschberuf, das mir sehr gut gefiel und in dem ich auch sehr gutes Feedback bekam. Trotzdem wurde mein Skinpicking in dieser Zeit wieder schlimmer und ist es bis jetzt im Beruf. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich unter Druck setze, immer gute Arbeit zu leisten und mich zum großen Teil auch über meine Leistungen definiere. Mein Gesicht, meine Oberarme und mein Dekolleté sind besonders betroffen, aber auch die Oberschenkel, nah am Intimbereich, wo ich nachwachsende Härchen rausdrücke und -zupfe. 

Eine Zeit lang ließ ich mir die Beine waxen, inzwischen traue ich mich das nicht mehr, da die Oberschenkel von frischen Wunden und Narben übersät sind. Beim letzten Mal wurde ich auch gefragt, wie lange ich die eingewachsenen Härchen dort schon habe und dass ich dagegen Salizylsäure verwenden sollte. Dabei sind ja nicht unbedingt die eingewachsenen Härchen das Problem, sondern das Gekratze und Gezupfe. Auch zum Frisör traue ich mich zurzeit nicht aufgrund der Wunden am Kopf, die auch mein Freund spürt, wenn er mich am Kopf streichelt oder berührt. 

Mein Freund kommentiert mein Skinpicking häufig, z. B. mit Sätzen wie "Deine Arme sehen ja wieder schlimm aus!". Das ist natürlich verletzend, aber ich glaube, dass er es eigentlich gut meint und glaubt, wenn ich mich schäme, würde ich damit aufhören. Das ist natürlich nicht der Fall. Er glaubt auch, ich würde es vorschieben, an einer Krankheit (Skin Picking) zu leiden und es als Ausrede benutzen, um nicht damit aufhören zu müssen. Ich würde mir von ihm wünschen, dass er sich mehr mit dem Thema Skin Picking beschäftigt, z. B. im Internet, auf Blogs oder durch Bücher. Dann würde er sehen, dass es viele Betroffene gibt und dass die Störung auch Muster hat, die bei allen gleich oder ähnlich sind und dass man nicht einfach damit aufhören kann. 

Ich sage mir eigentlich jeden Tag, dass ich ab morgen aufhöre. Bei mir ist aber kein einziger Tag knibbelfrei. Schon interessant, wie man sich das 17 Jahre lang einreden kann (ich bin 30), dass man es alleine schafft. Ich möchte in Zukunft eine Therapie machen. Ich habe bereits eine Verhaltenstherapie hinter mir, da ging es allerdings um meine Angststörung und mangelndes Selbstwertgefühl, das Thema Skin Picking war zu der Zeit nicht so belastend wie jetzt wieder seit etwa zwei Jahren. 

Eine Zeit lang betrieb ich selbst viel Körperpflege in Form von Fußbädern inkl. Pediküre und Füße eincremen, Maniküre, Augenbrauen zupfen, Gesichtsmasken - das war für mich eine Art, liebevoll und gut mit meinem Körper umzugehen. Ihn mit meinen Händen nicht zu malträtieren, sondern liebevoll zu behandeln, zu pflegen und ihm etwas Gutes zu tun. Aber das mache ich nur noch sporadisch, irgendwie kann ich nach Feierabend nicht die nötige Energie dazu aufbringen und beschränke mich auf das Wesentliche. 

Ich war bereits ein paar Mal bei der Skin Picking Selbsthilfegruppe in Köln, allerdings glaube ich, dass ich in einem kleineren Kreis besser aufgehoben wäre, vielleicht sogar nur in einer Zweier- oder Dreiergruppe, da ich mich nicht traue, mich in einer so großen Gruppe einzubringen. Auch an der Studie von Linda Mehrmann habe ich teilgenommen, aber ich habe es nicht durchgehalten. Nach einem Wochenende, an dem ich nicht an den Unterlagen gearbeitet habe, habe ich es nicht geschafft, wieder einzusteigen. 

Ich habe jetzt erkannt, dass ich es nicht alleine schaffe und möchte deswegen bald eine Therapie machen. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ich es schaffe, komplett mit dem Skin Picking aufzuhören, aber ich bin trotzdem zuversichtlich, dass ich es schaffe, es (stark) zu reduzieren und freue mich schon auf die Zeit, in der ich ärmelfreie oder ausgeschnittene Oberteile tragen kann, ohne Scham ins Freibad gehen kann und nicht mehr versuche, meine stärker betroffenen Stellen vor meinem Freund zu verstecken.

...Anonym"

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