18. August 2019

Gastpost - Part 9

Hey, ihr Lieben!

Ist es wirklich schon 10 Monate her, dass der letzte Gastpost erschienen ist? Wie konnte das nur passieren? Vielleicht lag es daran, dass ich vor einem Jahr in recht kurzer Zeit drei Teile dieser Postserie veröffentlichen durfte und dann erstmal eine kleine "Pause" damit einlegen wollte. Aus der kleinen Pause wurde unbeabsichtigt eine große Pause... Dabei ist der Inhalt dieser Beitragsserie so wertvoll wie fast kein anderer! Hier könnt ihr Erfahrungsberichte und Geschichten anderer Betroffener lesen, die sich trauen, ihr ganz persönliches Skin-Picking-Kapitel öffentlich zu machen. Falls ihr mehr über die Entstehung und den Sinn der Gastposts wissen möchtet, schaut im ersten Teil rein. Alle anderen Teile könnt ihr gesammelt unter dem Label "Eure Geschichten" finden.

Bevor es mit der Geschichte einer ganz besonders jungen Betroffenen losgeht (das Alter ist höchstwahrscheinlich nicht mehr aktuell, da mir der Gastbeitrag vor etwas über einem Jahr geschickt wurde - die späte Veröffentlichung ist mein Verschulden!), starte ich den Aufruf des ersten Posts:

Nun möchte ich euch als Betroffene ganz direkt ansprechen: Ihr habt niemanden zum Reden, möchtet aber trotzdem mal euer Herz ausschütten oder Frust rauslassen? Ihr traut euch nicht, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen, möchtet aber dennoch, dass eure Geschichte von Menschen gelesen wird? Ihr habt ein paar tolle Tricks und Tipps oder einfach nur liebe Worte für Leidensgenossen, die ihr loswerden wollt? Ein eigener Blog wäre euch zu viel Arbeit, aber einen kleinen Post würdet ihr gerne verfassen? Dann meldet euch gerne bei mir! Schreibt mir eine E-Mail mit dem Betreff "Gastpost" an folgende Adresse: dermatillomanie-blog@web.de. Selbstverständlich dürft ihr auch Bilder mitsenden, wenn ihr das wollt. Ihr könnt dabei entweder von Anfang an namenslos bleiben oder mich darum bitten, euch zu anonymisieren. Ich werde euren Text dann unverändert innerhalb dieser Postserie veröffentlichen, sodass ihr selbst eventuelle Kommentare Anderer dazu lesen könnt.

 
"Liebe Jacqueline, liebe Leser und Leserinnen,

ich heiße Franzi. Ich bin seit kurzem 16, aber meine Geschichte mit Dermatillomanie ist schon relativ alt, etwa 6 oder 7 Jahre.
Ich wäre sehr glücklich und dankbar, einen Teil meiner Erfahrungen und Beobachtungen zu teilen. Es gibt bestimmt viele Betroffene, die ihre Krankheit mit anderen Menschen teilen. Das habe ich nie gemacht. Ich habe jahrelang mit niemandem darüber gesprochen, alles hinter Creme und Make-up versteckt, im Alltag alles überspielt und leise gelitten, obwohl ich eine liebevolle Familie und Freunde habe. Ich wollte immer alleine mit meiner Kondition klarkommen, vielleicht habe ich mich auch geschämt. Es hat wohl niemand bemerkt, in was für einer grenzwertigen Situation ich stecke, ich habe jahrelang meine Sucht und alle damit verbundenen Emotionen einfach versteckt - und musste alleine damit klarkommen.

Ich möchte daher jedem, der sich vielleicht darin wiederfindet - vor allem den Jüngeren, wie ich damals - ganz deutlich sagen, dass es für mich ein großer, großer Fehler war, zu versuchen, meine Traurigkeit und die ,,versteckte andere Welt“ alleine zu bewältigen. Ich bin selbstbewusst und durchsetzungsfähig, da bin ich mir sicher, aber so etwas konnte ich dann doch nicht. Jahrelang alleine leiden, immer wieder aufs Neue. Aus heutiger Sicht habe ich nur immer mehr Kummer und Verzweiflung angestaut.
Aber das muss nicht sein! Ich, also wir, können uns nicht aussuchen, dass wir leiden, aber wir können uns sehr wohl aussuchen, was wir dagegen unternehmen! Es ist wichtig, nicht nur auf bessere Zeiten zu hoffen, sondern sich im Hier und Jetzt Hilfe zu holen, von Menschen, denen man vertraut, von einem Psychologen oder Arzt.

Als ich zum ersten Mal realisierte, dass ich ein Krankheit habe, dass ich wirklich süchtig nach etwas bin, dass ich mich unbewusst zum Schlechteren verändert hatte, mein Gesicht jeden Tag blutete und wehtat, hatte ich nur noch ein Ziel vor Augen: Wieder wunderschöne, reine Haut zu haben und glücklich zu sein.

Ich versuchte wirklich alles, um meine sogenannte Derma alleine zu bewältigen. Ich kaufte Kalender, markierte die Tage, schrieb Wochenpläne, dokumentierte Erfolge und Misserfolge, entwickelte diverse Belohnungssysteme oder Challenges, die es mir leichter machen sollten, schrieb Erinnerungen, Briefe an mich selbst, Gedichte, Tagebucheinträge, Gedanken auf, zeichnete und malte ganze Bilder, versuchte es mit verschiedenen Instagramprofilen und mit vielem, vielem mehr.
Am Ende gab es nach jeder vermeintlich neuen Lösung, die immer mit dem Gedanken ,,Dieses Mal schaffe ich es“ und viel Motivation begann, eine erneute riesige Enttäuschung, einen Rückfall, Selbstzweifel und ganz viel Trauer (mit der ich wieder alleine war).

Mein Idealbild von der perfekten Haut traf nie ein. Nicht nach einem und auch nicht nach sechs Jahren. Und ich bin mir sehr sicher, dass sich mit diesen Methoden auch in 10 und 20 Jahren nichts ändert. Skin Picking ist ein Teufelskreis. Ich habe das Gefühl, dass alle meine Gedanken, meine Kraft und mein Wille kontrolliert werden.

Aber wie kann ich dann etwas verändern?

Dafür blicke lieber in die traurige Realität: Ich habe kaputte Haut, verletze mich jeden Tag neu. So gibt es kein neues, besseres Ich in der Zukunft.
Wenn ich überlege, was ich da eigentlich mache, wird mir sofort klar, dass ich das grundsätzlich gar nicht will. Meine wahre Einstellung dazu sagt also eigentlich: Nein, das ist falsch. Skin Picker werden verstehen, dass wir unsere wahren Einstellungen während einer Skin-Picking-Phase schnell ausblenden. Ich habe mir verinnerlicht: Egal, was du gerade für richtig hältst: Skin Picking ist falsch, es hilft dir nicht. Wenn dieser Satz mir dann beim Picken einfiel, ließ ich sofort davon ab. Ohne Ausnahme - ganz konsequent. Das hat mir sehr geholfen.

Dann habe ich das Gleiche für Folgendes angewandt:
  • Die Haut im Spiegel anschauen ist falsch.
  • Die Haut anfassen ist falsch.
  • Überhaupt an Skin Picking denken ist falsch.
Ich habe diese Methode immer angewandt, wenn mir bewusst wurde, dass ich etwas Falsches mache. Ich war immer konsequent, von früher hatte ich gelernt, dass meistens schon eine einzige Ausnahme alles wieder kaputt macht.

Diese Methode habe ich persönlich für mich entdeckt und damit erste längere Erfolge erlebt. Das hat mir viel Mut gemacht. Ich hatte nach längerer Zeit wieder etwas Lebensfreude, was meine Haut angeht.

Ich möchte nicht verallgemeinern, dass es von Betroffenen ausgedachte Methoden gegen Skin Picking gibt, die wirklich funktionieren. Es ist wohl die beste Lösung, den Rat und die Behandlung eines Professionellen zu bekommen. Wenn ich wirklich ehrlich zu mir selbst bin, werde ich es wahrscheinlich auch mit dieser Methode nicht schaffen, das Skin Picking zu überwinden. So ist die Krankheit eben, man versucht es immer und immer wieder. Ich bin jetzt 16 und ich will und werde nicht weiter leiden. Ich habe mir ein letztes (oh, wie ich diesen Satz hasse) Ziel gesetzt: Wenn meine Methode nicht bis Ende meiner Sommerferien funktioniert (sehr wahrscheinlich), suche ich einen Psychologen auf.

Ich werde mein Leben verändern, und ich wünsche allen und jedem, der meine Sucht oder meine Schwierigkeiten teilt, alles Liebe und ganz viel Glück, Stärke und Entschlossenheit für ein besseres Leben!

Franzi"

Vielen Dank für dein Vertrauen in uns und deinen Mut in dich selbst, liebe Franzi!

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