17. Dezember 2022

Leistungsdruck und Perfektionismus

Jetzt habt ihr ein kleines Weilchen nichts mehr von mir gehört, nachdem die letzten Wochen recht kontinuierlich Beiträge erschienen sind und es teilweise auch sehr viel zu erzählen gab. Aber aktuell ist wieder viel Anderes in meinem Leben los und ja, ich habe natürlich irgendwie auch den "Anspruch", euch was zusammenzutippen, was Mehrwert hat. Deshalb passt das heutige Thema ganz gut dazu. Auch, wenn ich ein leises Gefühl verspüre, das mir sagt, heute sei vielleicht nicht der beste Tag dafür, weil ich nicht die treffendsten Worte finden werde. Aber das ist egal. Irgendwelche Worte sind wohl besser als keine. Es muss nicht vollkommen sein.
 
Leistungsdruck und Perfektionismus - gemeinsam mit Skin Picking (oder alternativ auch anderen psychischen Erkrankungen) keine gute Mischung. Ich bin seit ich denken kann perfektionistisch, zum Teil sogar etwas zwanghaft penibel. Das gilt nicht ausschließlich, aber insbesondere für Dinge, die ich kreiere. Also alles, was irgendwie mehr oder weniger mit Leistung zu tun hat. Ich habe viele sehr stark verinnerlichte Glaubenssätze, Denk- und Verhaltensmuster, die meine Leistung und meinen Wert miteinander verknüpfen. Und wisst ihr, eine der ungelösten Fragen für mich ist nach wie vor: Woher kommt dieses Leistungsdenken? Woher kommt der Druck, den ich mir mache? Ich komme aus keinem Elternhaus, wo mir je Druck gemacht wurde, im Gegenteil. Ich habe mir jeglichen Druck stets selbst gemacht und war mir selbst nie gut genug. Es musste immer "sehr gut" (möglichst nah an "perfekt" eben) sein, sonst war ich selten zufrieden. Und auch, wenn ich anderen Menschen in meinem Umfeld mit voller Überzeugung sagen kann, dass sie IMMER wertvoll und liebenswürdig sind, ganz egal, wie viel sie leisten.... für mich selbst gilt das nie. Ich bin ein Nichtsnutz, wenn ich nichts schaffe. Ich habe versagt, wenn eine Leistung unzureichend/verspätet ist. Ich muss wie der letzte Idiot wirken, wenn etwas mal nur "ganz okay" geworden ist. Jeder muss doch merken, wenn ich mal keine sehr gute Leistung erbringe und sich fragen, was mit mir nicht stimmt. Wenn ich nichts leiste, bin ich nichts wert und habe keine Berechtigung, hier zu sein oder gar das Leben zu genießen. Zurück zur Frage, woher das Ganze kommt - kann es nur von unserer Leistungsgesellschaft beeinflusst sein? Obwohl ich vielen äußeren Einflüssen eigentlich gar nicht oder sehr spät bzw. wenig ausgesetzt war? Mh, ich werde jetzt auf keine Lösung kommen, das ist klar. Ich möchte nur zum Ausdruck bringen, wie sehr es mir ein Rätsel ist, wie ich so unglaublich stark zu dem Glauben kommen konnte, dass ich ohne (gute) Leistung keinen Wert habe oder bringe.

Skin Picking und Perfektionismus (und auch hoher Leistungsdruck) gehen gerne und oft Hand in Hand, ist mein Eindruck. Nicht nur bei mir, auch bei vielen anderen Betroffenen. Auch unsere Haut soll möglichst perfekt sein. Keine Erhebung, keine kratzige Kruste, keine Unebenheit, keine Pickel, keine Rötungen, keine Mitesser, etc. Am liebsten eine komplett glatte, reine und gesund glänzende Oberfläche mit winzigen Poren und weichem Hautgefühl. Hach, wie schön muss das sein - alles so ganz ohne Trigger. Aber Moment, ist das überhaupt möglich? Und woher kommt dieser Wunsch nun schon wieder? Und was hat dieser bescheuerte Leistungsdruck damit zu tun? Wieso sind wir so sehr danach bestrebt, immer und überall (gute) Leistungen zu erbringen? Weil wir uns selbst ja nie gut genug sind (was wir uns mit unserem SP-Verhalten zeigen)? Übrigens... jetzt, wo ich so oft von Leistungsdruck geschrieben habe... Kann es eventuell sein, dass dieser ganze Druck, den wir uns machen, dazu beiträgt, dass wir innerlich unruhig sind und irgendein Verhalten brauchen, um den Druck mal zu entladen? Wäre nur ne Theorie, jeder Betroffene erlebt seine BFRB-Erkrankung ja anders.

Aber auch unser Empfinden des eigenen Aussehens kann vom Perfektionismus und Leistungsdruck berührt werden. Mit all unseren Spuren auf der Haut sind wir jedenfalls alles andere als perfekt, oder? Wenn jemand unsere roten Stellen, Pickel, Wunden und Narben sieht, dann wird er doch sofort wissen, dass wir versagen und nichts hinkriegen? Was muss jemand denken, der uns so ungeschminkt und zugerichtet sieht? Nicht, dass wir noch für unhygienisch gehalten werden oder sowas Dummes. Sind jetzt mal nur extreme Gedanken, wie den ganzen Post schon. Aber hey, aus so einer Richtung kann es wahrscheinlich kommen, wenn sich Betroffene tagein, tagaus für jede Gelegenheit schminken und das Gefühl haben, sie müssten das tun. Weil wir glauben, dass wir ungeschminkt nichts wert sind und dass man es uns ansieht. Wir glauben, wir müssten uns verändern, um uns zeigen zu dürfen. So wie wir ohne Schminke sind, so sind wir nicht richtig und passen nicht in die Gesellschaft. Also versuchen wir, uns richtig zu machen und alles an Leistungen, was wir erbringen, richtig zu machen. Weil wir das Gefühl der Unzulänglichkeit satt haben. Aber Druck, Härte und Strenge sind nicht sonderlich gut für unser Selbstwertgefühl oder eine gesunde Beziehung zu uns selbst. Es fällt uns wahnsinnig schwer, aber wir dürfen liebevoll mit uns sein. Wir dürfen uns Verständnis zeigen. Wir dürfen lernen, dass wir in jedem (äußerlichen, emotionalen und mentalen) Zustand wertvoll und richtig sind. Wir dürfen erkennen, dass wir nicht auf dieser Welt sind, um Leistungen zu erbringen. Wir dürfen verstehen, dass uns all diese ungesunden Glaubenssätze von außen eingepflanzt wurden und dass es möglich ist, sie mit viel Arbeit aufzubrechen und eines Tages loszuwerden. Wir dürfen den Perfektionismus über Bord werfen, denn er ist kein guter Ratgeber. Perfektion ist ein Idealbild, ein unerreichbares Konstrukt. Nichts, was für uns Menschen sinnvoll oder erstrebenswert wäre. Wir können ankommen und zu uns finden, ohne perfekt zu sein. Wir können stark sein, ohne Leistung zu erbringen.

Macht es Sinn, was ich geschrieben habe? Versteht ihr mich und fühlt ihr euch verstanden? Das war jetzt mal ein spontaner Gedankenausbruch. Überhaupt nicht rund, sondern sehr roh und eckig. Aber das schrieb ich ja schon zu Beginn und dort habe ich bereits betont, dass genau das sein darf.

Nachfolgend noch ein paar Bilder, die ganz gut dazu passen könnten:




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