Ein sommerlich-sonniges Hallo!
Es ist wirklich ungeheuer heiß, oder? Ich hoffe, ihr überlebt die Hitze alle einigermaßen gut und könnt die Sonne auch ein wenig genießen - sei es auf dem Balkon, im Garten, im Park oder sonstwo. Für die Momente, in denen ihr euch aber möglicherweise zuhause vor dem Ventilator einigelt, habe ich neuen Lesestoff mitgebracht! Janika hat euch zuletzt im April von einem sehr intimen Erlebnis erzählt und dieses Mal wird es um etwas gehen, das ihr unter die Haut gegangen ist. Undzwar wortwörtlich. Viel Spaß beim Lesen!
"Hallo zusammen,
in meinem heutigen Beitrag soll es um ein etwas persönlicheres Thema gehen, das aber auch eine Brücke zu dem Thema Skin Picking schlägt. Ich möchte euch meine Tattoos vorstellen und euch die jeweilige Geschichte dahinter erzählen. Zuvor nenne ich euch jedoch einmal kurz und knapp meine persönlichen Gründe, warum ich mir Tattoos stechen lassen.
Zunächst einmal ist ein Tattoo für mich ein Ausdruck der Individualität und Persönlichkeit. Ein Tattoo erzählt eine Geschichte, es kann zum Beispiel ein Ereignis, eine Lebensphase, aber auch eine (innere) Einstellung widerspiegeln. Und über die Haut eine Geschichte zu erzählen, das kennen wir Skinpicker ja sehr gut... Daran anschließend ist ein Tattoo für mich vor allen Dingen eine Art Therapie, eine Möglichkeit, etwas zu verarbeiten. Es dient als Kraftsymbol, Motivation und Mantra. Ihr seht später, wie ich Dinge in meinem Leben mithilfe der Tattoos verarbeite. Außerdem zeigen Tattoos Beständigkeit und Commitment. Sie sind ein Ausdruck des Menschen und ein Zeichen der kreativen Selbstdarstellung.
Für alle, die daran etwas zu kritisieren haben: Mein Körper ist mein Tempel. Er gehört nur mir und ich kann ihn gestalten, wie ich das möchte. Ein Tattoo ändert nicht, wer ich bin. Es macht mich nicht netter, nicht fieser, nicht schlauer und auch nicht dümmer.
So, kommen wir zu meinen Tattoos. Ich habe bislang (!) sechs Tattoos. Meine ersten beiden Tattoos habe ich mir im Januar 2018 stechen lassen und es sind die Folgenden:
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Semikolon am rechten Handgelenk
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Sternzeichen Steinbock unten am linken Bein außen |
Kommen wir zunächst zu dem Semikolon. Diejenigen von euch, die sich in der Tattooszene etwas besser auskennen, werden das Symbol und seine Bedeutung bestimmt kennen: Es entspringt dem „Semicolon Project“, einer Organisation, die mit diesem Motiv all denjenigen gedenkt, die mit Ängsten, verlorener Liebe, Selbstverletzungen, Depressionen, Gewalt, Suizidgedanken und Selbsthass kämpfen. Die Idee zu diesem Symbol geht auf diesen Gedanken zurück: „Ein Semikolon wird genutzt, wenn ein Autor seinen Satz eigentlich hätte beenden können, aber gewählt hat, es nicht zu tun. Der Autor bist du und dieser Satz ist dein Leben.“ Es ist ein sehr ausdrucksstarkes Symbol und eine tagtägliche Erinnerung an die Erfolge, die man bislang schon geleistet hat: Immer noch hier zu sein, gegen den inneren Schmerz anzukämpfen und immer noch zu dem Leben in seiner ganzen Fülle „Ja“ zu sagen. Natürlich retten Tattoos keine Leben, aber jeder noch so kleine Schritt, über psychische Gesundheit zu sprechen, ist gut und hilft, ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen.
Kommen wir zu meinem zweiten Tattoo: Dies ist mein Sternzeichen, der Steinbock. Das Sternzeichen wird jedem Menschen mit seiner Geburt mitgegeben und nimmt vor allen Dingen eine komplementäre Funktion zu meinem Semikolon ein: Während das Semikolon eher die dunklen Tage repräsentiert, erinnert mich der Steinbock an meine Kindheit, an die schönen Tage, die ich in meinem Leben haben durfte und auch immer wieder haben darf.
Knapp ein Jahr später (Januar 2019) habe ich mir drei weitere Tattoos stechen lassen.
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"One step at a time" am linken Unterarm |
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BFRB-Schleife mit Herz am linken Handgelenk |
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Malinspfeil am rechten Fuß |
Das erste ist der Schriftzug „One Step At A Time“. Mit diesem Tattoo tätige ich die klare Aussage, dass nur ICH die Größe meiner Schritte bestimme. Ich habe in der Vergangenheit oft die Erfahrung gemacht, dass andere Menschen sich das Recht herausnehmen wollten, zu bestimmen, welche Schritte ich gehe und in welchem Tempo. Dies bezog sich vor allen Dingen auf den Verlauf meiner Krankheit. Das Ganze wurde mir irgendwann zu viel, ich bin in einer stillen Minute zu der Erkenntnis gekommen, dass es meine Aufgabe ist, die Schritte in meinem Leben zu bestimmen und somit auch ihre Größe. Viele Schritte, die ich jeden Tag gehe, sind für manche Menschen so klein und so unbedeutend, dass diese in ihrer Sprache wahrscheinlich nur „1/3 Schritte“ oder noch weniger wären. Für mich kann jedoch morgens aufzustehen, trotz schrecklich gedrückter Stimmung den Tag anzugehen, ein viel größerer Schritt sein. Ich habe da meine eigene Währung und ich achte nicht mehr darauf, welchen Erfolg und Wert meine Handlungen und Fortschritte in der Welt meiner Mitmenschen haben. Es geht um meine Welt und das zeigt mir mein Tattoo jeden Tag.
Mein viertes Tattoo ist die bekannte BFRB-Schleife. Sie steht wohl am meisten in direktem Bezug zum Skin Picking. Das kleine Herz unter ihr zeigt, dass das Skin Picking zu meinem Wesen gehört und dass ich niemals mich selbst oder einen anderen Menschen mit einer psychischen Erkrankung weniger lieben werde als ohne. Da ich die Schleife farblich nicht augefüllt habe, erfüllt sie auch – um ein paar Ecken gedacht – einige weitere Funktionen: Sie ist ein Solidaritätssymbol, mit dem ich zeige, dass ich in Gedanken auch bei ganz vielen anderen Menschen bin: Die rote Schleife umfasst die Gruppe von AIDS-Kranken und HIV-Infizierten, die gelbe Schleife hingegen drückt die Unterstützung von Soldaten und Militärangehörigen aus (ich empfehle auf diesem Wege, einmal in das Lied „Tie A Yellow Ribbon Around The Old Oak Tree“ reinzuhören) oder die White Ribbon trägt zur Beendigung der Männergewalt in Beziehungen bei. Da könnt ihr euch gerne bei weiterem Interesse online informieren.
Mein viertes Symbol ist der Malinspfeil, ein schwedisches Symbol, das einen Teil des täglichen Kampfes mit Skin Picking reflektiert. Stellt euch vor, ihr spannt einen Bogen, um einen Pfeil zu schießen. Damit dieser nach vorne eilen kann, muss er zunächst nach hinten gezogen werden... und genau so ist es auch im Leben: Wenn wir Fortschritte machen, sollten wir dies in dem Bewusstsein tun, dass es auch immer wieder zu Rückschlägen kommen kann. Lange Zeit war ich mir dieser Tatsache nicht bewusst, ich war jedes Mal am Boden zerstört, wenn es zu einem erneuten Zusammenbruch kam. Heute weiß ich, dass ich Probleme im Leben gebrauchen kann, um weitermachen zu können. Der Malinspfeil erinnert mich daran.
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Orchideen mit dem Buchstaben H |
Und somit kommen wir auch schon zu meinem letzten Tattoo, den Orchideen, an deren Stängel sich der Buchstabe „H“ befindet. Dieses Tattoo ist das Einzige, das nicht in einem Bezug zu meinen psychischen Erkrankungen steht, trotzdem möchte ich euch seine Geschichte nicht vorenthalten. Mit diesem Tattoo danke ich meiner Oma Helga, die am 09.07.2018 von uns gegangen ist. Meine Oma ist ein ganz großartiger Mensch und ich möchte nicht erzählen, wie sie von uns gegangen ist, denn viel wichtiger als das ist die Frage, wie sie gelebt hat.
Meine Oma hat sich in meinem Leben sehr viel um mich gekümmert und ganz besondere Spuren auf meiner Seele hinterlassen. Sie war meine große Inspiration und als sie 2008 ihre Alzheimerdiagnose bekam, habe ich bis zu ihrem Todestag versucht, ihr all die Liebe und Aufmerksamkeit wiederzugeben, die sie mir in meinem Leben so selbstlos zu Teil werden ließ. Ihre und auch meine Lieblingsblumen sind Orchideen, ein Motiv, das auch ihre Beerdigung durchzogen hat. Es ist wie ein Leitmotiv unserer Beziehung und mit ihnen möchte ich ausdrücken, wie sehr ich – insbesondere – die psychische Schönheit meiner Oma bewundere.
Das sind meine Tattoos. Mein Wunsch ist es, meine besondere Sammlung bald wieder zu erweitern. Da schwebt mir auch schon ein ganz besonderes Motiv vor, mal sehen, wann es dann soweit ist. :)
Habt ihr Tattoos und vielleicht sogar welche, die euch helfen, das Skin Picking zu verarbeiten? Ich bin gespannt!
Ich verbleibe mit den besten Grüßen,
Eure Janika"
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