Unsere Wahrnehmung. Ein schwankendes Schiff des Lebens und Erlebens auf dem Meer der Eindrücke, die diese Welt zu bieten hat. Eine färbende Brille, die wir nicht fähig sind abzunehmen. Eine leicht entflammbare Zündschnur für unsere Gedanken und Gefühle. Etwas, worüber sich nicht bloß mit anderen Menschen, sondern auch mit sich selbst gestritten werden kann.
In den letzten Tagen nehme ich die Schwankungen meiner Wahrnehmung mal wieder besonders stark wahr. Ich finde es spannend, die Phänomene, die damit zusammenhängen, zu beobachten und sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Was nehme ich jetzt aber jüngst wahr?
Es gibt Tage und Situationen, in denen mich auch heutzutage noch ein Schleier des Unwohlseins und der Unsicherheit begleitet, wenn ich ungeschminkt bin. Ich fühle mich dann irgendwie "unfertig" (insbesondere, wenn ich etwas "schickere" Kleidung trage, das passt für mich bei mir einfach absolut nicht zusammen), komisch und sogar hin und wieder beobachtet. Ich verschwende Gedanken daran, ob ich Leuten begegnen könnte, die mich kennen und was die denken mögen. Diese Tage können auch von meinem Hautzustand abhängen, müssen es aber nicht.
Und dann gibt es Tage oder Momente wie neulich, wo mich nicht weniger jucken könnte, wie ich aussehe. Wo es mir komplett egal ist, wie die äußerliche Fassade meines Seins aussieht und auf Andere wirkt, weil ich mir bewusst darüber bin, dass ich aus so viel mehr bestehe. An diesen Tagen fühle ich mich übermächtig, weil ich über jeglichen Unsicherheiten drüber stehe. Vor ein paar Tagen habe ich zum Beispiel abends in den Spiegel geschaut (hatte nicht allzu lange vorher sogar geweint, glaube ich), meine ganzen roten Stellen wahrgenommen und mir gedacht, wie schön ich doch aussehe und warum ich manchmal den Blick dafür verliere... Ich verspürte eine Dankbarkeit für diese Gedanken und für mein Spiegelbild.
Ich bin in letzter Zeit wieder selten(er) geschminkt und daher an meine ungeschminkte Erscheinung gewöhnt. Dienstagabend war ich arbeiten und habe mich dafür ziemlich hergerichtet: Gut abgedeckte Haut, Wimperntusche, Eyeliner, Augenbrauen - alles on fleek, wie man so schön sagt. Ein krasser Kontrast und dennoch hat es meine Wahrnehmung nicht beeinflusst. Ich fand es schön, aber habe nichts "Schlechtes" über mein ungeschminktes Gesicht gedacht. Gestern hingegen habe ich nur ein ganz klein wenig Schminke aufgelegt. Kaum Veränderung also und doch kamen automatisch Gedanken wie "Ach, wenn du doch nur ungeschminkt so aussehen könntest...". Ja, ich gebe es zu, dass ich gerne einige Features von meinem leicht geschminkten Ich hätte: Ich hätte gerne keine Augenringe mehr (Papa, warum konntest du die nicht für dich behalten, sondern musstest sie mir vererben???), dafür hätte ich gerne sichtbare und dichtere Augenbrauen und weniger prominente Pickel, Wunden und Narben. Insgesamt ein gleichmäßigeres Erscheinungsbild. Aber das bin nicht ich und teilweise werde ich das auch nie sein, denn meine Augenringe und Augenbrauen werden sich nicht ändern. Daher gehe ich den Weg der Selbstakzeptanz weiter. Stück für Stück. Manchmal komme ich gut voran, manchmal bleibe ich lange auf der Stelle stehen und manchmal mache ich auch Rückschritte.
Mein Freund sagt so oft, wie schön ich äußerlich und innerlich bin. Auch Freundinnen machen mir natürlich hin und wieder Komplimente. Es ist doch eigentlich schade, dass ich nicht fähig bin, mit ihren Augen auf mich zu schauen. Wie interessant und augenöffnend wäre das!? Aber ich mache mir stattdessen eines bewusst: Auch, wenn ich meiner eigenen Wahrnehmung nie entfliehen können werde, so kann ich sie doch lenken, trainieren und eventuell sogar neu einfärben. Alles zu seiner Zeit. Es ist ein Lernprozess.
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Frohes Neues übrigens! Sagte sie, während der Februar schon bald an die Tür klopft.