Dieser Blog dient mir seit 2014 als eine Art "Tagebuch", in dem ich meine Reise mit dem Skin Picking festhalte. Des Weiteren möchte ich informieren, das Thema bekannter machen und anderen Betroffenen Verständnis, Mut sowie Inspiration schenken. Nebenbei teile ich auch andere Bereiche meines Lebens mit euch, lade Fotos hoch und Ähnliches. Viel Freude und Erkenntnisse beim Lesen!
14. November 2017
Dermatillomanie als Lernprozess
Gleich in den ersten Wochen meines Studiums habe ich nun durch eine meiner Vorlesungen die erste Inspiration für das Thema Dermatillomanie erhalten. Und das, obwohl meine Studiengänge (ich studiere im 2-Fach-Bachelor) eigentlich sehr wenig mit der Psyche des Menschen zutun haben. Hätte ich in keinster Weise so erwartet, aber dadurch sieht man eben, wie viele Zusammenhänge es in andere Richtungen gibt und dass Alles irgendwie miteinander verbunden ist.
Auf welches Unterthema möchte ich heute zu sprechen kommen? Ich kann euch sagen: Es ist ein riesiges, zum großen Teil kompliziertes und unerforschtes Unterhema. Es geht um die Wurzeln des Skin Pickings: Wie, wann und vor allem warum haben wir Skin Picker diese Verhaltensweise entwickelt? Hat die Entwicklung des Skin Pickings etwas mit einem Lernprozess zutun? Und wenn das Verhalten "angelernt" ist, ist es dann möglich, es wieder zu "verlernen" und durch etwas Neues zu ersetzen? Wenn ja, wie sähe das aus? Ihr seht anhand dieser Fragen schon, wie groß dieses Unterthema ist und wie schwer die Beantwortung dieser Fragen erscheint. Es gibt bereits viele Forschungsansätze, die Skin Picking als angelerntes Verhalten ansehen. Auf dieser Basis aufbauend gibt es auch einige Therapieansätze, die versuchen, unser Verhalten langsam und Stück für Stück durch ein neues, weniger schadendes Verhalten zu ersetzen. Es wird versucht, einen "Umlern-Prozess" in Gang zu bringen.
All das ist mir nicht neu und ihr dürftet von diesen Informationen ebenso wenig vom Hocker gehauen sein. Doch das Wissen um diese Grundlagen ist wichtig für das, was ich euch heute zeigen möchte. Es ist ein Youtube-Video mit dem Titel "Wie lernen Kinder? Aktuelles aus der Gehirnforschung" (Link dazu weiter unten). In diesem Video verfolgt man eine Vorlesung des Neurologen und Medienkritikers Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer - der Psychologie, Philosophie und Medizin studierte - von der Universität Ulm. Das komplette Video geht 1,5 Stunden und ist durchaus extrem spannend und sehenswert, jedoch kommt es mir in diesem Kontext nur auf einen Ausschnitt an, den ich euch gleich näher eingrenze.
Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=vujELzwcdpQ
In der besagten Vorlesung meines Studienfachs schaute ich die ersten 32 Minuten des Videos und weil ich so gefesselt und interessiert war, zog ich mir zuhause den Rest rein. Damit entdeckte ich den Abschnitt, den ich euch heute vorstelle und der mich in dem Moment stark zum Nachdenken brachte. Falls ihr nicht selbst die 94 Minuten sehen wollt, gebe ich euch an dieser Stelle wichtiges Vorwissen vom Anfang der Vorlesung: Die Definition des Lernprozesses formuliert Manfred Spitzer so, dass es nichts mehr ist, als die Erstellung und anschließende Verstärkung von Verbindungen zwischen Neuronen, die dadurch erreicht wird, dass wiederholt Aktionspotenziale über die Synapsen laufen. Kurz: Lernen = Spuren legen. Außerdem stellt er fest, dass sich das Gehirn dauerhaft verändert, weil jedes Aktionspotenzial und jeder Aufruf einer Verbindung/Erinnerung 'Spuren' hinterlässt.
Es wird langsam heißer und ich empfehle euch ab jetzt, selbst einen Blick in den Link zu werfen. Ab 29:11 des Videos stellt uns Spitzer ein sehr anschauliches Beispiel von einem Park vor, in dem 30cm Neuschnee liegt. In diesem Park gibt es einen Ein- und Ausgang, einen Glühweinstand und einen Souvenir-Shop. Ab dem Punkt, wo die Tore des Parks geöffnet werden und Leute eintreten, entstehen Spuren durch die Wege der Menschen. Vom Eingang zum Glühweinstand, danach zum Souvenir-Shop und am Ende nach draußen. Diese Spuren entstehen deshalb, weil alle Menschen den gleichen, nämlich den einfachsten und kürzesten Weg gehen. Niemand würde einen Umweg durch den Schnee laufen und sobald die Spuren erkennbar sind, geht sowieso jeder auf den schon gemachten Trampelpfaden. Übertragen auf das Gehirn ist das Prinzip das Gleiche: Aktionspotenziale, die über Synapsen laufen, verstärken diese Verbindungen. Dort, wo kein Aktionspotenzial vorbeiläuft, wird nichts gestärkt. Je stärker eine Verbindung zwischen zwei Neuronen, desto schneller und leichter läuft das Aktionspotenzial da drüber. Und dafür können wir Menschen nichts, es ist ein automatischer Prozess. Stellen wir uns nun (anhand des Bildes vom Video ab 32:18!) einmal vor, dass der vorhandene Glühweinstand schließt und daraufhin ein neuer direkt nebenan aufmacht. Spitzer erklärt uns, wie die Leute nun laufen würden. Sie würden keinen neuen Weg durch den Schnee gehen, nein. Das wäre viel zu anstrengend! Die Leute würden erst den alten Weg, der schon da ist, nehmen, und dann ein Stückchen weiter zum neuen Glühweinstand gehen. Warum? Weil der Weg (zum großen Teil) schon da ist. Doch nicht nur das! Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer erzählt uns danach etwas sehr Erstaunliches: Seit 2003 weiß man, dass bereits vorhandene Spuren im Hirn auch dann weiter genutzt werden, wenn sie nicht mehr gut auf die aktuelle Realität passen.
Nun mein besagter Abschnitt (33:08), den ich beim Hören sofort auf das Skin Picking übertragen habe:
"Damit ist eins klar: Es ist viel leichter, sich eine schlechte Angewohnheit gar nicht erst anzugewöhnen, als sie wieder abzugewöhnen. Denn wenn hier [im Hirn] mal eine Spur ist, haben Sie richtig Mühe, noch eine neue Spur hinzumachen. Denn dann müssen Sie immer mit viel Mühe hier [auf der neuen Spur] trampeln und nochmal trampeln... Und bis da so ein schöner Weg draus wird, dauert es eine Weile. Und solange der nicht so schön ist wie der [der alte Weg] - wenn Sie spontan reingehen und haben es eilig, was nehmen Sie? Den [den alten Weg]! Und dann wird der wieder besser, dummerweise. Genau deswegen ist es so schwierig, umzulernen, wenn man schonmal was gelernt hat."
Was bedeutet das für uns als Skin Picker? Wir haben da mit dem Drücken, Kratzen etc. scheinbar eine sehr feste und gute Spur gelegt. Die ist so tief in uns verankert, dass es schier unmöglich scheint, dass es da noch einen anderen Weg gibt. Selbst wenn wir ein, zwei Mal einen anderen Weg gegangen sind, so bringt uns das leider sehr wenig. Ein, zwei Mal gegen mehr als tausend Mal sind ja nichts. Das erklärt, warum es so unheimlich schwierig ist, sich das Skin Picking ab- und sich eine neue Verhaltensweise anzugewöhnen. Was im Video nicht erwähnt wird, ich mir aber selbst dachte, ist Folgendes: Ohne einen alternativen, neuen Weg ist es sowieso aussichtslos, das Skin Picking loszuwerden. Denn irgendeinen Weg brauchen wir. Wenn kein anderer Weg da ist, bleibt uns nur das Skin Picking. Das erklärt wiederum, warum wir uns oft vorkommen wie jemand, der keine Wahl hat. Erst recht dann, wenn wir aufgewühlt und emotional sind und schnell einen Weg wählen müssen... Als ob uns da diese (vielleicht vorhandene) ganz leichte, kaum erkennbare Spur auffallen würde, wo uns doch diese perfekt benutzte Spur des Skin Pickings sofort ins Auge springt. Skin Picking ist also viel mehr als "nur" Skin Picking. Es ist ein Teil unseres Gehirns und damit ist es extrem schwer, es dauerhaft hinter uns zu lassen. Deswegen mag es sicher auch so viele Rückfälle geben... Selbst wenn man es geschafft hat, eine neue und attraktive Spur zu legen, so ist die alte Spur nicht gleich verschwunden. Nein, es braucht eine Menge Zeit, bis sie verblasst und sich (nach dem Beispiel von Spitzer) neuer Schnee drüber gelegt hat.
Das mag euch eventuell pessimistisch erscheinen, doch macht euch eins klar: Es bedeutet auch, dass uns immer die Möglichkeit gegeben ist, einen neuen Weg zu legen und zu gehen! Es ist nie zu spät. Mit viel Mühe und Durchhaltevermögen ist es nicht unmöglich, dem Skin Picking den Rücken zuzuwenden! Und egal, wie anstrengend es ist, sobald man es geschafft hat, kann man unendlich stolz und froh sein!
Dieser Post ist also dazu gedacht, euch auf dieses Wissen aufmerksam zu machen und euch darüber hinaus vielleicht einen Denkanstoß zu geben. Weil ich nicht so recht weiß, wohin mit diesem Post im Sinne der Labels, packe ich es mal bei "Was ist Skin Picking?" mit rein. Auch, wenn es das nicht ganz trifft.
Puh, viel Text heute. Nehmt es mir nicht übel, ich bin davon einfach nur extrem begeistert und gefesselt. Nichts ist spannender als das Gehirn des Menschen und seine Funktionen...
Bis zum nächsten Mal, wo ich euch hoffentlich wieder lockereren Inhalt mitbringe!
2 Kommentare:
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Liebe Jacqueline!
AntwortenLöschenIch kannte das Video sogar schon, bin aber nie auf die Idee gekommen diesen Bezug herzustellen. Wahrscheinlich auch, weil mich das Thema Skin-Picking damals noch nicht berührt hat. Jedenfalls finde ich diesen Beitrag von dir super! (:
Welchen Zweifach-Bachelor machst du denn?
Hey du! Danke dir für deinen Kommentar. :)
LöschenIch habe dir eine genauere Antwort als E-Mail geschrieben!
Liebe Grüße