Halli hallo, wie geht's denn so?
Tja, mir geht es derzeit ziemlich gut, da mein Freund zu Besuch ist. Deswegen lasse ich hier auch nichts von mir hören, sorry dafür. Aber um nicht lange herumzuschwafeln, kommen wir gleich zur Sache.
Erfreulicherweise hat mir nämlich vor einigen Tagen ein neuer E-Mail-Kontakt geschrieben und die Person dahinter schickte mir sogar einen Text zu. Dieser Text beschreibt wieder eine individuelle Geschichte eines Betroffenen und war dazu bestimmt, von mir als Gastpost veröffentlicht zu werden. Ist das nicht schön? Ich habe mich mal wieder sehr gefreut - ihr wisst ja, dass ich Fan dieser Postserie bin. Hoffentlich seid ihr es auch (noch)! Wenn euch das aber nichts sagt, dann schaut gerne bei den vergangenen vier Teilen rein, indem ihr hier klickt. Im ersten Teil findet ihr zusätzlich noch eine Einleitung und Erklärung, wieso diese Postserie entstanden ist und was ihr Inhalt ist.
Bevor es losgeht, möchte ich euch als Betroffene ganz direkt ansprechen: Ihr
habt niemanden zum Reden, möchtet aber trotzdem mal euer Herz
ausschütten oder Frust rauslassen? Ihr traut euch nicht, selbst an die
Öffentlichkeit zu gehen, möchtet aber dennoch, dass eure Geschichte von
Menschen gelesen wird? Ihr habt ein paar tolle Tricks und Tipps oder
einfach nur liebe Worte für Leidensgenossen, die ihr loswerden wollt?
Ein eigener Blog wäre euch zu viel Arbeit, aber einen kleinen Post
würdet ihr gerne verfassen? Dann meldet euch gerne bei mir! Schreibt mir
eine E-Mail mit dem Betreff "Gastpost" an folgende Adresse:
dermatillomanie-blog@web.de. Selbstverständlich dürft ihr auch Bilder
mitsenden, wenn ihr das wollt. Ihr könnt dabei entweder von Anfang an
namenslos bleiben oder mich darum bitten, euch zu anonymisieren. Ich
werde euren Text dann unverändert innerhalb dieser Postserie
veröffentlichen, sodass ihr selbst eventuelle Kommentare Anderer dazu
lesen könnt.
"Liebe Leser von
Jacquelines Blog!
Ich freue mich, dass
ich hier die Gelegenheit bekomme, auch kurz von mir zu berichten.
Einen eigenen Blog möchte ich nicht veröffentlichen, auch aus
Zeitgründen könnte ich das glaub ich nicht managen. Ich bin 23
Jahre alt, habe einen etwas anstrengenden Job und viel Freizeitstress
- und, wie ich gerade erschreckend feststelle, bin ich seit ca. 9-10
Jahren Skin Pickerin. Angefangen in der Pubertät, intensiver mit dem
Alter von 16-17 Jahren... hab mir aber nie so richtig Gedanken
darüber gemacht, und dass das Ganze einen Namen hat, weiß ich seit
2 Jahren ca.
Vor 1,5 Wochen hatte
ich mal wieder einen ganz schlimmen Anfall und danach war das
schlechte Gewissen wieder groß. So bin ich danach zum ersten Mal
auf Jacquelines Blog gestoßen, weil ich bei Dr. Google nach Hilfe
gesucht habe. Seitdem war ich sehr oft auf dieser Seite und bin sehr
froh, denn irgendwie ist das das Erste, mit dem ich was anfangen
kann. Ich habe auch das Gefühl, dass es mir hilft, von gegenseitigen
"Erfahrungen" zu lesen und mich wirklich mal damit zu
beschäftigen.
Das Skin Picking ist
für mich eine Sucht. Am Tag spürt man unter dem Pony, welcher die
Stirn gut versteckt, das "Pochen" - in den Pickeln (welche
ja eigentlich keine waren), die man am Vortag bearbeitet hat, ist
noch was drin. Man muss die Haut reinigen. Bizarrerweise "freut"
man sich irgendwie schon darauf, wenn man dann endlich daheim ist,
das Make-Up entfernt und "nur mal kurz" die Haut bearbeiten
kann. Es ist so eine unbewusste Anspannung, die abfällt und dann
übergeht in den entspannenden Trance-Zustand. Aus "nur mal
kurz" werden Stunden, eigentlich hat man Durst, muss schon lange
aufs Klo und kalt ist einem auch, weil man nicht viel anhat. Man weiß
genau, was gerade passiert. Bei mir ist es wohl einfach das Ventil,
das ich zum Abbauen von Gedanken und Stress brauche, neben dem Zwang,
jede Unreinheit entfernen zu wollen. Ich brauche keinen Fernseher, im
Handy stöbert man eh viel zu viel am Tag und auch ein Buch zu lesen,
entspannt mich in diesen Momenten nicht. Nach einem anstrengenden
Tag, oder wenn generell in der Gefühls- und Gedankenwelt momentan
viel passiert, scheine ich diesen Trance-Zustand irgendwie zu
brauchen - das nichts denken, nichts fühlen.
Ist es nicht die
Ironie an sich, dass wir nichts anderes möchten als reine Haut, und
uns selbst so "zurichten"? Ganz ehrlich, wenn wir unsere
Haut mal in Ruhe lassen würden, wäre sie wunderschön. Keine
Flecken, aber vielleicht ab und zu mal einen Mitesser oder so. Und genau das ist das
Problem. In einem von Jacquelines Posts kann man lesen, dass es immer
schwieriger wird, wenn man auf ein Ziel hin arbeitet. Da geht es uns
wohl allen gleich. Ich war an dem damaligen Wochenende auf einem
Event eingeladen, wo ich ein ärmelloses Kleid anhatte und alle
umhauen wollte. Ich war so brav, die Tage davor ist es mir gelungen,
die Haut richtig gut abheilen zu lassen. Und dann, zwei Tage vorher,
hatte ich einen Anfall und habe alles bearbeitet. Es hat nur mit dem
kleinen Mitesser begonnen und ist dann richtig ausgeartet. In mir hat
haben alle Warnglocken geläutet ("Nicht, was machst du denn!!")
- es ist im Kopf ein regelrechter Streit ausgebrochen. Danach das
schlechte Gewissen, am nächsten Tag dann das Resultat - alles wund,
rot, entzündet, zehnmal schlimmer als überhaupt zuvor, wo
eigentlich nichts war.
Und darauf wieder sehr
viele intensive Abende - wie wenn ich die Tage von vorher aufholen
müsste. Dabei ist bei dem Event eh alles gut gegangen! Ich habe
natürlich alle Schminkkünste ausgepackt, keiner hat was gemerkt und
ich habe viele Komplimente bekommen. Müsste das nicht eigentlich ein
Ansporn sein?
Am Tag des Anfalls war
ich wieder sehr verzweifelt, also danach dann erst natürlich. Und
als ich dann so auf Jacquelines Blog gestöbert habe, ist mir klar
geworden, dass ich mich wirklich damit auseinandersetzen muss. Habe
mir Zettel ausgedruckt, um auch ein "Skin Picking Tagebuch"
zu führen. Mit Foto/Status/Hautzustand, Grund (was ist passiert,
warum habe ich heute keine Ruhe gegeben) und wie ich mich fühle.
Eigentlich kein schlechter Ansatz, funktioniert hat das Ganze drei
Tage lang. Warum ich nicht weitergemacht habe, kann ich nicht sagen,
aber wir manipulieren uns in der Sache ja eh andauernd selbst.
Zumindest mache ich seitdem fast jeden Tag ein Foto von meiner Haut
und habe das Gefühl, dass mir das hilft.
Wegen dem genannten
Event war ich vor 2 Wochen dann auch 3x im Solarium, da ich nicht wie
eine weiße Wand aussehen wollte. Normalerweise gehe ich im Frühjahr
generell 3-4x ins Solarium - aber nicht öfter! Das trocknet die Haut
ein bisschen aus, man sieht die Narben vom Winter (welche man im
Sommer nicht mehr unter Schals und langer Kleidung verstecken kann)
nicht mehr so gut und außerdem habe ich irgendwo doch Angst um meine
Gesundheit, und es gelingt mir besser, frisch solariumgebräunte Haut
in Ruhe zu lassen. Umso schlechter war mein Gewissen in diesen
Tagen, weil es mir leider nicht gelungen ist, durchzuhalten. Ich habe
mich selbst über meine Dummheit geärgert - diese Unzufriedenheit
mit sich selbst ist aber wie ein Kreislauf. Da hilft es dann nicht
mal mehr, wenn man in der Nacht mit Jod-Heilsalbe eingeschmiert auf
einem Handtuch schläft, es ist für die Haut einfach alles zu viel.
In den Tagen nach dem
starken Anfall hatte ich ein straffes Zeitprogramm. Ich habe es
geschafft, ein bisschen Ruhe zu geben, und meine Haut wirklich nur
wenig zu bearbeiten, Tag für Tag. Momentan kommt es mir so vor, als
hätte ich eine so schöne Haut wie nie zuvor – aber ich denke, es
wird manchen von euch wohl auch so gehen, dass man dann einen
verzerrten Eindruck bekommt. Ich wünsche mir dann oft den
Blickwinkel eines Außenstehenden, um meinen Hautzustand neutral
betrachten zu können.
Habe es die letzten
zwei Tage schon wieder gemerkt – in der Arbeit und auch so war es
ziemlich stressig und ich musste mich viel ärgern. Abends war es für
mich SEHR schwierig, standhaft zu bleiben und nicht zu drücken. Ich
wusste genau, wenn ich nachgebe, um „nur ein bisschen zu
korrigieren“, bin ich verloren und die ganze Wut kommt raus. In mir
haben die Gedanken wieder nebeneinander gekämpft, doch ich habe es
geschafft. Zähneputzen und ab ins Bett. Hoffentlich kann ich die
momentane, positive Phase nach dem großen Tief noch etwas
beibehalten, bis es mich das nächste Mal aus der Bahn wirft.
Natürlich versuche
ich mich auch an Tricks, wie Licht ausschalten im Bad etc. - aber das
funktioniert leider nicht immer bzw. selten. Ihr werdet es alle
kennen – nach guten Phasen kommen dann immer wieder auch schlechte
Phasen, die die "mühsame Arbeit" (Abstinenz/Entzug?)
zunichte machen.
Ich spreche eigentlich
nur mit meiner Mama über das Skin Picking, sie kann mir aber nicht
wirklich helfen. Meine Mama und meine Tante haben das gleiche Problem
- meine Tante hat sehr viele Narben, da sie auch oft ins Solarium
geht. Mein Papa weiß schon, dass mit uns dreien wohl was nicht
stimmt, aber er macht nur ab und zu Bemerkungen ("Du musst auf
deine Haut aufpassen, willst du aussehen wie deine Tante), sonst
nichts, er weiß ja nicht, in welchem Ausmaß ich das betreibe.
Wenn
ich abends länger im Bad stehe, ruft Mama oft aus dem Wohnzimmer
"Was machst du?" - meine Antwort lautet: "Blödsinn"
- und sie kennt sich aus. Meistens hilft ihre Nachfrage schon, dass
ich aufhöre oder sie kommt und schaltet mir das Licht aus, wobei sie
sich dann meistens noch von mir anschnauzen lassen muss.
Dadurch, dass das mit
der Dermatillomanie ja noch nicht so lange eine bekannte Krankheit
ist, hat meine Mutter auch nicht gewusst, "was sie da hat".
Aber ich rede mit ihr schon wirklich offen darüber, habe ihr
Google-Ergebnisse gezeigt etc. Sie meinte, die beschriebenen
Symptome kennt sie sehr wohl, halt nur ohne Bezeichnung, aber sie und
ihre Schwester haben jeweils sehr viele Stunden vor dem Spiegel
verbracht. Ich bin froh, dass sie mir hilft. Wir haben auch
ausdrücklich besprochen, dass sie mir bitte nie böse sein darf,
wenn ich sie im Bad "anschnauze". Das ist von mir die
automatische Reaktion, weil ich dann aus meiner Trance gerissen
werde, mich ertappt fühle und meinen Ärger dann an ihr auslasse. Wie genau meine Mutter
noch unter der Dermatillomanie leidet, kann ich nicht sagen. Sie
meint, sie hätte es im Griff. Wenn ich aber so drüber nachdenke,
gibt es glaub ich schon auch noch schlechtere Tage. Meist ermahnt sie
mich, aber wenn ich dann im Bett bin, ist sie dafür dann noch lange
im Bad (Ich gehe aufgrund meiner anstrengenden Arbeit eigentlich
immer vor ihr ins Bett).
Sollte ich mal in eine
eigene Wohnung ausziehen, darf ins Bad nur ein großes Waschbecken,
sodass man nicht nah zum Spiegel kommt, der Spiegel muss möglichst
klein und das Licht möglichst schlecht sein. Auch in den anderen
Räumen dürfen nicht so viele Spiegel sein, wenn dann hinter einem
Regal z.B. oder unter schlechtem Licht. Es geht nichts über ein
paar Tricks, noch wohne ich aber daheim. Einen Post-It an den
Bad-Spiegel möchte ich eigentlich nicht anbringen, damit Paps nichts
mitbekommt...Haare flechten oder zeichnen müsste ich öfter. Oder
Nägel öfter neu streichen - mit frischem Nagellack rupft es sich
nicht gut. Allerdings wachsen dann die Nägel, die zum Drücken
wieder praktisch sind.. und und und... naja, das werdet ihr auch
alles kennen.
Ich bin froh, dass es
den Blog von Jacqueline gibt, und auch eure Kommentare zu lesen,
hilft mir sehr. Wir sitzen irgendwie im gleichen Boot, in unserer
laufenden Geschichte, mal mit guten und mal mit schlechten Zeiten.
Ich wünsche euch
allen viel Kraft und Durchhaltevermögen!
Liebe Grüße, Simona
(Name geändert)"
Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag!
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