'N Abend, liebe Skinpicker und Nicht-Skinpicker.
Lang lang ist's her, dass ich einen Gastpost veröffentlicht habe, nicht wahr? Um genau zu sein, erschien
der dritte Teil im September letzten Jahres. Danach meldete sich kein Interessent mehr bei mir, sodass diese Postserie ein paar Monate ruhte. Doch vor Kurzem kam eine ganz unerwartete Mail mit dem Betreff "Gastpost" - da war ich ganz aus dem Häuschen! Noch eine Person, die so mutig ist, ihren Frust mal in Worte zu verpacken und in meine Hände zu geben, damit ich ihn veröffentlichen kann.
Danke danke danke, wirklich! Was dieses Mal aber ein wenig anders sein wird: Am Ende werde ich noch kurz ein Statement zu der Geschichte abgeben. Warum, erfahrt ihr dann.
Bevor es losgeht, folgt aber erst einmal das übliche Prozedere... Falls ihr nämlich nicht wisst, was diese Postserie so beinhaltet und warum sie existiert, dann schaut gerne beim
ersten Teil rein oder gönnt euch unter dem Label "
EureGeschichten" gleich alle drei Teile.
Und nun möchte ich euch als Betroffene ganz direkt ansprechen: Ihr
habt niemanden zum Reden, möchtet aber trotzdem mal euer Herz
ausschütten oder Frust rauslassen? Ihr traut euch nicht, selbst an die
Öffentlichkeit zu gehen, möchtet aber dennoch, dass eure Geschichte von
Menschen gelesen wird? Ihr habt ein paar tolle Tricks und Tipps oder
einfach nur liebe Worte für Leidensgenossen, die ihr loswerden wollt?
Ein eigener Blog wäre euch zu viel Arbeit, aber einen kleinen Post
würdet ihr gerne verfassen? Dann meldet euch gerne bei mir! Schreibt mir
eine E-Mail mit dem Betreff "Gastpost" an folgende Adresse:
dermatillomanie-blog@web.de. Selbstverständlich dürft ihr auch Bilder
mitsenden, wenn ihr das wollt. Ihr könnt dabei entweder von Anfang an
namenslos bleiben oder mich darum bitten, euch zu anonymisieren. Ich
werde euren Text dann unverändert innerhalb dieser Postserie
veröffentlichen, sodass ihr selbst eventuelle Kommentare Anderer dazu
lesen könnt.
"Warum eigentlich?
„Hör doch einfach auf zu drücken.
Warum machst du das überhaupt?“
Ich denke mal, solche Aussagen
und Fragen kennt ihr alle. Ja, warum eigentlich? Darüber habe ich
schon oft nachgedacht, hauptsächlich wenn ich vor meinem großen
Spiegel stand und die beiden Schlachtfelder betrachtete, die meine
Arme darstellen sollen. Oder wenn ich nachts im Bett liege und nicht
weiß, wie ich mich zudecken soll, ohne, dass der Stoff der Decke an
meine schmerzende, pochende Haut gerät. Nur wenn ich meine Haut
bearbeite, da denke ich über solche Sachen nicht nach – weil ich
in dieser Zeit quasi überhaupt nicht denke.
Und ich denke, das ist der Grund.
Denn wenn ich die Haut an meinen Armen absuche, Hautfetzen
herausreiße, Krusten abkratze, mit der Pinzette Härchen herausziehe
und drücke, bis das Blut fließt...fühle ich nichts. Gar nichts.
Und für jemanden wie mich, die oft furchtbar sensibel und emotional
ist, die immer alles richtig machen will und dabei über ihre eigenen
Füße stolpert, ist dieses „Nichts fühlen“ ein echter Segen.
Ganz egal, was davor auch passiert ist, ob ich Streit mit meiner
Mutter, Angst vor einer wichtigen Prüfung habe oder mich einfach
schäme, weil ich wieder zugenommen habe – sobald ich knibble, ist
alles Andere nur noch nebensächlich. Klar, da ist sie noch irgendwo,
die Stimme der Vernunft, die mir zuruft, wie falsch das ist, was ich
mache, wie selbstzerstörerisch und krank, wie schlecht es mir gleich
wieder gehen wird, wenn ich nicht sofort aufhöre. Aber die Stimme
ist zart und gaaaanz weit weg... Viel zu leicht, sie zu ignorieren.
Nachher wird sie dann nicht mehr so leise sein, die Vernunft. Dann
wird ihre Stimme mir wieder im Kopf dröhnen und mir vor Augen
halten, dass meine ganzen Mühen der letzten Tage, nicht an meiner
Haut zu knibbeln, völlig umsonst waren, jetzt da die verheilten
Stellen wieder offen sind. Dann werde ich einen dankbaren Blick aus
dem Fenster werfen, auf den Schnee, der mir eine Ausrede gibt,
langärmlige Shirts oder Stulpen zu tragen. Und werde mit Unruhe an
den nächsten Sommer denken und mich fragen, ob ist es bis dahin
schaffe, meine Haut verheilen zu lassen und vielleicht auch etwas
abzunehmen. Ob ich es endlich schaffen werde, mich wohl in meiner
Haut zu fühlen.
Hallo ihr Lieben ^^
Ich wollte endlich auch einmal
schreiben, wie es mir mit Skin Picking so ergeht. Wie ihr schon lesen
konntet, sind hauptsächlich meine Arme betroffen, mein Gesicht zu
bearbeiten reizt mich Gott sei Dank nur sehr selten. Manchmal weiche
ich auch auf meine Beine aus, denn dort zeigt sich die Reibeisenhaut
natürlich auch.
Angefangen hat es bei mir, wie bei
vielen Betroffenen, in der Pubertät – nur halt nicht wegen Akne,
sondern durch meine Reibeisenhaut. Damals kannte ich weder das Eine
noch das Andere. Ich wusste zwar, dass diese rötlichen Erhöhungen
auf meinen Armen keine Pickel waren, aber eine passendere Bezeichnung
hatte ich dafür auch nicht. Es fing mit harmloser Drückerei an,
leider zu einer Zeit, in der ich in der Schule ausgegrenzt und
langsam aber sicher zum Außenseiter wurde... Ich vermute mal, die
vielen stressigen Situationen plus die verrückt spielende Haut haben
zum Skin Picking geführt. Vor ca. 3 Jahren ging ich dann endlich zum
Hautarzt, der mir erklärte, was Reibeisenhaut ist, aber zu den
kleinen Verletzungen sagte, ich solle mir das bitte abgewöhnen
(Darauf wäre ich nie selbst gekommen... -.- XD). Erst vor einem Jahr
las ich in einem Artikel im Stern, halb verborgen in einem Nebensatz,
die Bezeichnung für ein Verhalten, das meinem sehr ähnlich war. Aus
reiner Langeweile schrieb ich es auf, um es später zu googeln –
und fand eine Art Spiegelbild. So viele Menschen, alte wie junge, die
mit den gleichen sonderbaren Symptomen kämpften wie ich. Die genauso
litten und sich schämten für ein Verhalten, dass sie nicht ablegen
konnten, so sehr sie es auch wollten. Eine Last fiel mir von der
Seele, von der ich nicht mal wusste, dass ich sie mit mir herum
schleppte. Ich war also nicht die Einzige. Ich war nicht allein. Das
war für mich ein kleiner Durchbruch. Klar, ich drücke immer noch,
ich habe gute und schlechte Phasen, manchmal habe ich auch noch
richtige Anfälle – aber es ist nie mehr so schlimm geworden wie
damals, als ich noch nichts vom Skin Picking wusste. Zu wissen, was
es ist und dass es noch Andere haben, ist mein erster Schritt, davon
weg zu kommen. Und mich stört mittlerweile auch der Gedanke nicht
mehr, dass meine Haut Narben davon tragen wird. Mit alten, verheilten
Narben kann ich leben – mit frischen Narben nicht.
Ich bin wirklich froh, dass ich diesen
Post schreiben kann, denn wenn ich ehrlich bin, gibt es niemanden,
mit dem ich so etwas gerne direkt besprechen würde... Ich will
einfach niemanden abschrecken. Ich will nicht, dass die Leute, die
mir wichtig sind, mich eklig finden. Oder depressiv. Oder gestört.
Auch wenn ich selbst verstanden habe, dass Skin Picking nichts mit
Verrücktsein zutun hat und Reibeisenhaut komisch aussieht, aber
nicht eklig ist – werden Andere das auch so sehen? Ich hab mal
versucht, mich meinem Bruder anzuvertrauen. Ging daneben. Ich konnte
gar nicht richtig zu Ende reden, da kam schon:„Rede dir nicht ein,
irgendwelche Phobien oder sowas zu haben, hör einfach auf deine
Pickel zu drücken.“ -.-
Ein anderes Mal wollte ich mich meinem
Freund anvertrauen. Als ich das erste Mal ärmellos vor ihm gesessen
hatte, hatte ich furchtbare Angst gehabt, er könnte etwas sagen.
Aber er sagte nichts, und ich war dankbar deswegen. Wenn er es nicht
merkt, würde ich ihn nicht auch noch darauf aufmerksam machen. Viel
später hat er dann mal meinen Arm vorsichtig in beide Hände
genommen und gefragt:„Ich habe dich bisher nie darauf angesprochen,
aber was ist das eigentlich?“ Auch wenn er es freundlich fragte,
konnte ich nicht ehrlich antworten. Nicht richtig ehrlich. Ich hab
ihm erklärt, dass es Reibeisenhaut ist und mehrfach betont, dass es
nicht ansteckend oder so wäre (Ist meine standart
Antwort).
Irgendwann schien ein guter Moment gekommen zu sein, ihm
vom Skin Picking zu erzählen. Wir kamen zufällig auf das Thema
Ritzen und ich wollte mir gerade eine sinnvolle Überleitung zum Skin
Picking überlegen, als er plötzlich sagte:„Ich verstehe diese
Leute einfach nicht. Wie kann man sich so etwas antun? Das ist doch
krank. Wenn es denen so schlecht geht, sollen die entweder was
dagegen tun oder sich halt umbringen. Sich selbst zu verletzen ist
hirnlos.“ Eine derart plumpe Aussage bin ich nicht von meinem
Freund gewohnt gewesen, der eigentlich sehr feinfühlig und
verständnisvoll ist. Ich habe nie wieder versucht, mit ihm darüber
zu reden.
So, jetzt habe ich euch aber genug
zugetextet ^^ XP
Tipps habe ich leider keine für euch, die ihr
nicht schon selbst kennen würdet. Ich kann nur noch sagen: Bleibt am
Ball, lasst euch von Rückschlägen nicht entmutigen, ich werde das
auch nicht. Ich träume schon viel zu lange von dem Tag, an dem ich
im Sommer ein Top ohne Jacke anziehen kann und mich dabei wohl fühle
^^
Liebe Grüße und alles Gute! Anonym"
Muss ich noch erklären, wieso ich einen Kommentar dazu geben muss? Ich glaube, es ist offensichtlich, wie viel in dieser Geschichte steckt. Vor allem sehr viel, wo ich mich drin wiedererkenne oder wo ich zustimmen kann.
Direkt zu Beginn taucht etwas extrem Interessantes auf: Das Nichtsfühlen. Als ich das so las, ging mir ein Licht auf. Ja, das ist es! Man fühlt nichts, während man seine Haut bearbeitet. Absolut nichts. Man entgeht den Gefühlen, denen man im Leben sonst ausgeliefert ist. Und wie wir kürzlich schon festgestellt hatten, können wir damit häufig nicht richtig umgehen. Da ist es wirklich ein echter "Segen" (Zitat), wenn wir für ein paar Momente nichts fühlen. Wir genießen das.
Auch alles, was zur Stimme der Vernunft gesagt wurde, ist bei mir identisch und mir dennoch nie so klar gewesen wie jetzt. Während eines Anfalls ist sie leise und leicht zu ignorieren. Doch unmittelbar danach ist sie so laut und präsent, dass einem beinahe die Ohren platzen. Von irgendetwas wird sie überdeckt und in den Hintergrund gedrängt, wenn wir an unserer Haut zugange sind. Vielleicht von unserem Drang?
Als Letztes picke ich mir folgende Stelle heraus:"Eine Last fiel mir von der Seele, von der ich nicht mal wusste, dass ich sie mit mir herum schleppte". So geht es sicher ausnahmslos allen Betroffenen, die gerade erst herausgefunden haben, dass sie Skin Picking haben. Wenn ich genauer drüber nachdenke, ging es auch mir so. Ich schleppte diese Last damals - als ich noch nichts von der Dermatillomanie wusste - mit mir herum und leidete unter ihr. Still und ahnungslos. Irgendetwas war da auf meinem Rücken, doch ich konnte nicht sehen, was. Ehrlich gesagt habe ich nicht mal probiert, es herauszufinden. Bis es der Zufall so wollte und ich über die Bezeichnung des Skin Pickings stolperte. Ab da wusste ich Bescheid und konnte langsam anfangen, mich Stück für Stück von der Last zu befreien.
So, das soll es aber für heute gewesen sein. Ich fiebere schon dem Wochenende entgegen und wünsche euch einen schönen Abend!